: „Eine schlimme Verzerrung des Wettbewerbs“
Der Volkswirt und Energie-Experte Bernhard Hillebrand hält die Zugeständnisse von Umweltminister Trittin an die Industrie für falsch
taz: Die Industrie fürchtet durch den Emissionshandel massive Wettbewerbsnachteile, Wirtschaftsminister Clement (SPD) bietet Rückendeckung. Ist die Gefahr wirklich so groß?
Bernhard Hillebrand: Das Problem an dem Konzept ist, dass es nicht alle Kohlendioxid-Emittenten erfasst, sondern nur die Energiewirtschaft und die Industrie. Je weniger der Verkehr und die privaten Haushalte zum nationalen Kohlendioxid-Minderungs-Ziel beitragen, desto mehr müssen Energiewirtschaft und Industrie einsparen. Wettbewerbsverzerrungen wären dann zumindest nicht auszuschließen. Umgekehrt hätte eine großzügige Zuteilung zur Folge, dass andere Bereiche die Minderungsbeiträge leisten müssten.
Was steht für die Industrie auf dem Spiel?
Würde der Preis für eine Tonne Kohlendioxid irgendwann bei 30 bis 40 Euro liegen, wird die Konkurrenz aus dem außereuropäischen Ausland billiger produzieren können. Denn sie unterliegt nicht dem Handelssystem. Wenn aber dann Zement statt in Heidelberg in Taiwan hergestellt wird, trägt dies sicherlich nicht zum globalen Klimaschutz bei. Zu welchem Preis die Zertifikate letztlich gehandelt werden, wird allerdings nicht von der zugeteilten Menge, sondern von den Minderungszielen abhängen und davon, was es kosten wird, Emissionen einzusparen.
Welche Pluspunkte bietet der Emissionshandel, um den Ausstoß von Kohlendioxid zu verringern?
Er garantiert, dass ein bestimmtes Minderungsziel kostengünstig erreicht wird. Das zeigen nicht nur Erfahrungen aus den USA und Großbritannien. Ordnungspolitische Maßnahmen, wie etwa Ge- und Verbote, aber auch eine freiwillige Selbstverpflichtung wären entweder teurer oder weniger zielführend.
Wie müsste der Handel denn aussehen, um nicht zu sehr auf Kosten der Industrie zu gehen und dennoch genug Kohlendioxid einzusparen?
Zunächst müsste ein verbindlicher Emissionsdeckel für alle vier der oben genannten Sektoren festgelegt werden, nicht nur für Industrie und Elektrizitätswirtschaft. Vorschläge hierzu hat das RWI im Sommer gemacht. Für den Emissionshandel selbst sollte es eine nationale Reserve an Zertifikaten geben. Die müsste dann auf den Markt gebracht werden, wenn der Preis für eine Tonne Kohlendioxid die internationale Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen gefährden könnte. In Zeiten, in denen der Preis zu niedrig ist, um Einsparanreize zu schaffen, müsste der Staat Rechte aufkaufen, um den Markt zu stabilisieren. Zudem müssten Firmen ihre emissionsmindernden Investitionen im Ausland auch für ihre nationalen Emissionsrechte geltend machen können.
Der Umweltminister macht der Industrie Zugeständnisse. Wer seine Anlagen erneuert, darf die alten Rechte behalten und damit Geld verdienen.
Der Vorschlag ist kontraproduktiv. Er trägt nicht zur Minderung von Kohlendioxid bei. Zudem könnte ein neues Kohlekraftwerk nicht mit einem alten, aber modernisierten konkurrieren. Letzteres wäre durch den Verkauf seiner überschüssigen Anteilsscheine finanziell immer im Vorteil. Gravierendere Wettbewerbsverzerrungen sind kaum denkbar. INTERVIEW: KATRIN EVERS