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Archiv-Artikel

„Die Nazis konnten sich alles erlauben“

70 Jahre Gedenken an die Pogrome des 9. November – mit der 83-jährigen Cellistin Anita Lasker-Wallfisch

Beim Tee haben die Nazis fünf Jahre vor den Pogromen des 9. November, die in der deutschen Bevölkerung lange „Reichskristallnacht“ genannt wurden, beschlossen, dass Juden keine Menschen seien. Daran erinnerte die 83-jährige Anita Lasker-Wallfisch, die weltbekannte Cellistin aus Breslau, die die Verfolgungen und das KZ Auschwitz überlebt hat. Sie war zur Gedenkfeierstunde am Bremer Mahnmal in der Dechanatstraße eingeladen. Lasker-Wallfisch berichtete von ihren eigenen traurigen Jugend-Erfahrungen. Als Untermenschen oder gar vergleichbar mit Tieren sollten Juden behandelt werden. Die Nationalsozialisten hätten mit diesem Gewaltschlag gegen die Juden ausgetestet, wie weit sie gehen konnten. „Die Nazis konnten sich alles erlauben“, stellt Lasker-Wallfisch am Schluss ihrer Rede fest.

Anlässlich des 70. Jahrestages kamen gestern am Bremer Mahnmal in der Dechanatstraße Mitglieder der jüdischen Gemeinde Bremen wie auch nichtjüdische Mitbürger zusammen, um den ermordeten Juden in feierlichem Rahmen zu gedenken. Im Nachhinein lassen sich die Novemberpogrome als zeitlichen Ausgangspunkt eines grausamen Massenmordes kennzeichnen. In Bremen wurden fünf Menschen in dieser Nacht des 9./10. November ermordet. Hauptrednerin der Feierstunde war die Vizepräsidentin der Bürgerschaft, Karin Mathes (Grüne).

Unter den Teilnehmerinnen war eine Frau, die sich damals als 12-jähriges Mädchen von den Hetzparolen der Nazis beeindrucken ließ. Beschämt erzählte sie am Rande der Kundgebung, sie selbst habe sich ihr kindliches, naives Mitläufertum nie verziehen, weshalb sie in der Gedenkfeier auch eine Hilfe für ihre persönliche Verarbeitung sieht. „Juden sind Ungeziefer“, habe sie selbst sogar gebrüllt, ohne jemals einen Juden wirklich gekannt zu haben. Ihren Kindern und Enkelkindern hat sie von ihrer Vergangenheit erzählt, in der Hoffnung, dass sich Gleiches niemals mehr wiederholt.

Anne-Kathrein Garbe