: berliner szenen Sternzeichen Radeberger
Wohnen ist nicht alles
Die S-Bahn fährt an. Zwei Baseball-Mützen sitzen nebeneinander und wippen gleichmäßig auf und ab. Die linke ist dunkelgrün. Auf ihrer Rückseite steht gelb eingestickt „Radeberger“. Die rechte ist schwarz und verwaschen mit blauer Aufschrift „New World“. Es riecht nach fahlem Bier. Die New-World-Mütze blickt zum Fenster hinaus, den vorbeiziehenden weißen Villen hinterher. „Ma so wohnen, Juppi, ma so wohnen. Det wär ma was, wa Juppi?“ Juppi, die Radeberger-Mütze, brummt leise unter ihrem Schild hervor. „Du musst ja, wenn du in ’ne neue Wohnung einziehst, musst du was haben, Juppi … so ganz für dich alleene, so.“
Für eine Weile wippen die beiden Mützen stumm vor sich hin. „Mönsch, warum is’n allet so stille hier. Is hier Begräbnis oder wat?“ Die rechte Mütze stößt die linke in die Seite, doch die reagiert nicht. Schließlich taucht die rechte ab und erscheint kurz darauf wieder mit einer Zeitung. „Wat bist’n du für Sternzeichen, Juppi? He Juppi? Du bist doch Krebs, oder? Hier, hör ma zu, Juppi. ‚Krebs: Gibt es was Schöneres, als auf dem Sofa zu kuscheln? Das haben sie schon lange nicht mehr gemacht, was?‘“ Die rechte Mütze lacht laut auf. „Det is richtig Juppi, wa? Det haste schon lange nich mehr, wa? Wa, Juppi?“ Die Radeberger-Mütze dreht sich nach links weg. Die rechte Mütze reicht den Glitzerstift hinüber und hustet laut. „Oh Mann, ick hab mir wat weggeholt. Ick geh nich mehr nach draußen, nee, ick geh nich mehr draußen, uff keenen Fall.“ Die rechte Mütze blickt erneut den vorbeiziehenden Villen hinterher. „Ma so wohnen, Juppi, ma wo wohnen, wa?“ Für eine Weile blickt die rechte Mütze stumm hinaus. Dann seufzt sie: „Ach weeßte, Juppi, wohnen is ooch nich alles.“
NICOLE ARMBRUSTER