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Archiv-Artikel

Die Apokalypse bleibt aus

Jedenfalls wird sie nicht vom Computervirus „MyDoom“ ausgelöst werden. Denn der ist, wie die meisten seiner Vorgänger, doch nur so etwas wie ein virtueller Schnupfen: lästig und unvermeidlich

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

In der Biologie haben Viren einen guten Ruf. Ohne sie gäbe es keine Gentechnik, vielleicht nicht einmal eine natürliche Evolution. Denn in der Biologie sind die Viren kreativ. Sie bauen Gensequenzen nach ihren eigenen Bedürfnissen um, verändern sich dabei selber, und ohne dieses fortwährende Ausprobieren neuer Kombinationen hätte sich das Leben gar nicht entwickeln können. In der Computerei sind Viren nur langweilig. „MyDoom“ zum Beispiel, der am Dienstag die Fachwelt in wohlige Aufregung versetzt hat. Interessant daran war nur das Tempo, mit dem sich das Progrämmchen verbreitet hat. Auf dem Höhepunkt der Infektion, schätzt einer von vielen Sicherheitsexperten, die befragt worden sind, hat es 1 von 17 E-Mails enthalten.

Auftritt: Experten

Woher wissen die eigentlich, wie viele E-Mails täglich verschickt werden? Wer zählt da ständig mit? Meistens kommen die Experten aus den USA oder aus Finnland. Dort weiß man wohl auch so etwas, in Deutschland natürlich nicht, wir sind zurückgeblieben.

Noch dümmer aber als alle Pisa-Deutschen zusammen sind inzwischen die Computer-Kids, die dieses Virus geschrieben haben. Leichter kann man es den Virenjägern kaum noch machen. Auch sie haben kräftig um die Welt gemailt. Sie konnten ihr Glück kaum fassen, schon wieder mit furchtbar ernst klingenden Warnungen auf ihr Geschäft hinweisen zu dürfen. Natürlich hatten sie die – gebührenpflichtige – Gegensoftware sofort zum Abruf bereit. Viel mussten sie dafür nicht tun. „Mein Untergang“ heißt das Kinderprogramm nur bei einigen von ihnen, der Marktführer www.symantec.com (hier auch die Anleitung zur Virenreinigung), nennt es schlicht „W32.Novarg.A@mm“. Das ist offenbar das Firmenkürzel für simple Mailviren, simpel deswegen, weil sie keineswegs beim Empfang automatisch ausgeführt werden oder auch nur mit raffinierten psychologischen Tricks dazu verleiten. Nichts davon: Irgendein Unbekannter schickt einen Brief mit der Betreffzeile „Test“ oder „Server Report“. Wer interessiert sich schon dafür? Aus lauter Langeweile haben offenbar doch einige Empfänger nicht nur die ziemlich inhaltsleere Mail selbst geöffnet, sondern auch noch den Anhang, den sie enthielt.

So etwas tut man aber einfach nicht, niemals bei einem unbekannten Absender. Und eigentlich überhaupt nie. In allen Zeitungen stand das zu lesen, seit Jahren schon. Nur wer es immer noch nicht glaubt, tut es doch. Auch nur aus Langweile wahrscheinlich, aber immerhin hat es gereicht, dass die ausführbare Datei im Anhang tatsächlich ausgeführt wurde. Der Rest ist banal. Es gehört nicht viel Programmierkunst dazu, Adresslisten zu lesen und Mails zu versenden, die wieder nur denselben Stumpfsinn enthalten. Wenn das nur ein paar Mal geschieht, tritt im heute enorm verdichteten Internet sofort der Kettenbrief-Effekt auf mit Empfängerzahlen, die nach kurzer Zeit größer sind als die Zahl der Erdbewohner insgesamt.

Kein Wunder also, dass die glücklichen Sicherheitsexperten schon nach wenigen Stunden ein paar Millionen solcher Mails gefunden haben wollen. Sie müssen sie nicht zählen, sondern nur berechnen und haben immer Recht. Schaden hat dieses Spielchen keinen angerichtet. Es lässt den befallenen Computer in Ruhe. Zwar scheint es am 1. Februar eine Attacke gegen die in der freien Programmierer-Szene verhasste Firma SCO reiten zu wollen. (SCO behauptet, geschützte Patente für gewisse Teile des Linux-Betriebssystems zu besitzen). Warten wir es ab. Es wird gar nichts passieren.