Serbiens Parlament vor neuem Wahlversuch

Wahl eines Parlamentspräsidenten könnte erneut an der Uneinigkeit der demokratischen Parteien scheitern

WIEN taz ■ Wer, mit wem, ob überhaupt und unter welchen Bedingungen – das ist einen Monat nach den vorgezogenen Parlamentswahlen immer noch die Frage in Serbien. Während der konstitutiven Sitzung am Dienstag konnte der Präsident des neuen serbischen Abgeordnetenhauses nicht gewählt werden. Weder der Kandidat der konservativen „Demokratischen Partei Serbiens“ (DSS), Dragan Marsicanin, noch die Gegenkandidatin von der ultranationalistischen „Serbischen Radikalen Partei“ (SRS), Gordana Pop Lazić, erhielten die nötige absolute Mehrheit. Abgeordnete der „Demokratischen Partei“ (DS) enthielten sich und besiegelten den fruchtlosen Ausgang der Abstimmung.

Die Parlamentssitzung verlief ganz im Zeichen der Ultranationalisten. Gleich zweiundachtzigfach starrte das wohlvertraute Abbild von Vojislav Seselj trotzig in die Kameras des serbischen Staatsfernsehens. Alle zweiundachtzig Abgeordnete der SRS trugen T-Shirts mit dem Foto des Parteiführers, der im Gefängnis des UNO-Tribunals für Kriegsverbrechen in Den Haag auf seinen Prozess wartet. Nach dem Motto „Seselj ist ein serbischer Held“ demonstrierte die SRS Entschlossenheit, von dem Weg Seseljs, der während des Krieges in Kroatien allen „kroatischen Ustaschi“ die Augen „mit einem verrosteten Löffel“ ausstechen wollte“, nicht abzuweichen. Durch das Ergebnis der Wahlen vom 28. Dezember sehen sich die Radikalen in ihrer chauvinistischen, antiwestlichen Politik bestätigt: Mit 82 Abgeordneten ist die SRS stärkste Partei.

Es folgen die nationalistische, konservative DSS mit 53, die nachdrücklich proeuropäische DS mit 37, die liberale, von Wirtschaftsexperten angeführte Partei „G 17“ mit 34 und der monarchistische Parteibund „Serbische Erneuerungsbewegung“ (SPO)-Neues Serbien (NS) mit 22 Mandaten. Abgeordneten. Milošević-Sozialisten haben ebenfalls 22 Abgeordnete im Parlament.

Solange sich die DSS, die auf einer Minderheitsregierung mit der liberalen Partei „G 17“ und der monarchistischen Koalition SPO-NS besteht, und die DS, die unbedingt mitregieren möchte, nicht einigen, wird man weder einen Parlamentspräsidenten wählen, noch eine demokratische Regierung bilden können. EU-Vertreter teilten mit, dass Brüssel eine von diesen vier Parteien des „demokratischen Blocks“ gebildete Regierung begrüßen würde.

Unter dem Druck des Westens und angesichts der Stärke der Ultranationalisten werden die zerstrittenen demokratischen Parteiführer bis heute versuchen ihre Animositäten zu überwinden, einen Parlamentspräsidenten zu wählen und sich auf eine Regierung zu einigen. Sonst gibt es Neuwahlen. Und das wäre selbst für Serbien zu viel, das weder einen Präsidenten, noch eine Verfassung hat und wo jegliche Reformen total festgefahren sind. ANDREJ IVANJI