: Auch unter den Richtern umkämpft
Obwohl die Mehrheit des Senats dagegen war, stellt Karlsruhe das NPD-Verbotsverfahren ein. Wegen der hohen Hürden für ein Parteienverbot reichen die Einwände von drei Verfassungshütern aus. Sie bemängeln die Vielzahl von Spitzeln bei der NPD
aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH
Beim Parteiverbot gelten besondere Regeln. Sechs von acht Verfassungsrichtern müssen einem Verbot und jeder „nachteiligen“ Verfahrensentscheidung zustimmen. Diese gesetzlichen Regeln sollen sicherstellen, dass eine Partei nur in ziemlich eindeutigen Fällen verboten wird.
Geholfen haben die Regeln jetzt auch der NPD. Nur vier Richter waren nach der V-Leute-Affäre für eine Fortführung des von Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag gemeinsam angestrengten Verfahrens. Das waren zwei Richterstimmen zu wenig. „Die Verfahren werden eingestellt“, lautete deshalb der Beschluss des Zweiten Senats.
„Zur Verfassungswidrigkeit der NPD haben wir aber kein Wort gesagt“, betonte Vizepräsident Winfried Hassemer sogleich: Es handele sich um keine Entscheidung zur Sache, sondern nur zum Verfahren. Dennoch ist der Verbotsprozess damit gescheitert und, wenn keine neuen Anträge gestellt werden, zu Ende.
Drei Richter, darunter Hassemer, sahen ein „nicht behebbares Verfahrenshindernis“. Sie machten dies an zwei Punkten fest. Zum einen seien auch nach Verfahrensbeginn immer noch V-Leute auf der Führungsebene der NPD platziert gewesen. Noch drei Monate nach Stellung der Verbotsanträge wurde ein Mitglied im Bundesvorstand, Jürgen Distler, gefragt, ob er nicht V-Mann werden wolle. Die Anwerbung scheiterte zwar, doch der Vorfall zeigt das fehlende Problembewusstsein der Antragsteller. Der letzte Spitzel im Bundesvorstand, Udo Holtmann, war erst im Januar 2002 – ein Jahr nach Verfahrensbeginn – abgeschaltet worden.
Was die V-Leute im Vorstand konkret gemacht haben, hielten die drei Richter für zweitrangig. Im Erörterungstermin Anfang Oktober fand sich kein Beleg, dass sie als agents provocateurs die Partei zu steuern versuchten. Die Bundesregierung wies auch nachdrücklich den Vorwurf zurück, die V-Leute sollten die Prozessstrategie der NPD ausforschen. Für entscheidend hielt die Drei-Richter-Gruppe nun etwas anderes: Die NPD sei durch die V-Leute auf ihrer Führungsebene während des Verbotsverfahrens „im Kern geschwächt“ worden, schließlich seien solche Spitzel „doppelten Loyalitätsansprüchen“ ausgesetzt: einerseits als führendes Parteimitglied, andererseits als entgeltlich tätiger Informationsbeschaffer für den Staat.
Auch das zweite Verfahrenshindernis, das die drei Richter sahen, hat mit V-Leuten zu tun. Jetzt geht es aber um die Antragsschriften, in denen Aussagen des Antisemiten und langjährigen V-Mannes Wolfgang Frenz großer Raum eingeräumt wurde. Auch vier weitere bisher noch nicht namentlich bekannte NPD-Kader seien als Beleg für die Verfassungswidrigkeit der Partei zitiert worden, ohne sie als (zeitweise) V-Leute zu kennzeichnen. So könne das Verfassungsgericht kein rechtsstaatliches Verfahren gewährleisten, sagen die drei Richter.
Die anderen vier Richter bewerteten den Sachverhalt ganz anders: „Eine Fortführung des Verfahrens war geboten“, erklärte Udo di Fabio für die Mehrheit. Das Verfassungsgericht hätte sich nicht seiner Verantwortung entziehen dürfen, sondern alle Möglichkeiten ausschöpfen müssen, um Hindernisse für eine Entscheidung auszuräumen. Selbst bei einer Ausforschung der NPD-Prozesstrategie durch die V-Leute hätten die vier Richter unter Umständen den Prozess fortgeführt, wenn es zur „Abwehr einer konkret nachweisbaren Gefahr“ für die Demokratie erforderlich gewesen wäre. Beide Richterblöcke hatten gestern je fast eine Stunde Zeit, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Hassemer hatte in seiner Einführung eingeräumt, um die Entscheidung sei im Gericht „gekämpft“ worden. Dass immerhin drei Richter von einem unheilbaren Verfahrenshindernis ausgehen, war auch im letzten Oktober noch nicht klar. Sonst hätte sich das Gericht auch den Erörterungstermin sparen können oder ihn zumindest anders gestalten müssen. Die Spaltung im Gericht verläuft übrigens quer zu den ideolgischen Zuordnungen der Richter. Expräsidentin Jutta Limbach war als achte Richterin vor einem Jahr aus dem Senat und damit auch aus dem Verfahren ausgeschieden.
Da noch keine Sachentscheidung gefallen ist, sind theoretisch jederzeit neue Verbotsanträge möglich. Um ein neues Verfahrenshindernis zu vermeiden, müssten jedoch bei Antragsstellung alle V-Leute in der NPD-Führungsebene sofort abgeschaltet werden, erklärte Hassemer gestern. Sein Widerpart Di Fabio hielt dies nicht für notwendig. Es könne auch Gründe geben, eine Partei während des Verbotsverfahrens weiter zu bespitzeln, zum Beispiel um gefährdete Minderheiten zu schützen. Doch die Ansicht der Mehrheit ist hier eher nebensächlich – solange es nur vier und nicht sechs Richter sind. Damit endete gestern das erste Parteienverbotsverfahren in der Bundesrepublik, seit 1956 die KPD per Gerichtsentscheid aufgelöst wurde.