: Kein Kitsch über Dienstboten
Der Volksmund sagt, das Glück sei mit den Dummen. Anderes zeigt Annegret Helds Das Zimmermädchen. Carla, Hauptfigur des Romans, verfügt zwar über eine gehörige Portion Naivität, doch ist sie weder Hans im Glück noch muss sie das Fürchten lernen. Carla ist 19 und will sich erproben, warum dann nicht Zimmermädchen auf der Insel Langeoog werden? Schließlich verdient man sich, so ihre Philosophie, die Eintrittskarte fürs Leben, indem man dienstbar ist: Wer hoch hinaus will, muss beizeiten lernen, Sammeltoiletten zu putzen! Und kann nebenbei erfahren, dass in Langeoog der Hund, aber auch Lale Anderson begraben ist, Sängerin weltberühmter Rührstücke wie „Ein Schiff wird kommen“. In Antizipation dieses Liedguts hofft Carla inständig, das Meer möge ihr ein männliches Strandgut anspülen, am besten direkt ins Haus Deichgraf hinein.
Doch die mögliche Erfüllung lässt auf sich warten und stattdessen kann Carla sich in der Entdeckung der Fräuleinwunder üben. Denn wer allein stehend ist und etwas auf sich hält, kehrt ins friesische Landhaus ein. Bald sieht sich Carla umringt von Frauen jeglichen Alters, von anderen Zimmermädchen über Gäste bis hin zu ihrer Arbeitgeberin, die als dünner Hausgeist mit leichtem Missmut und gradem Kreuz durch die Gänge strebt, Fräulein der ersten Stunde, Kriegsgeneration. Das Tagebuch bleibt leer, weil die schönsten Gedanken auf sich warten lassen; die Sehnsucht wird als Wunsch ins Meer gekippt und hofft auf Wiederkehr. Verloren wäre Carla auf Langeoog, wenn da nicht der Ärztekongress wäre, der alsbald die Zimmer füllt und auch Doktor Piedras mit ins Haus weht: ein Bild von einem Mann aus Schnulzenromanen, ein gut gebauter Macho mit Sommersprossen.
Für Carla bliebe, eine Erfahrung zu machen, wie es sich im Entwicklungsroman gehört, hätte Autorin Held es auf dieses Genre abgesehen. Aber nichts widerstrebt Held mehr, als eine erwartete Erzählstruktur. Vielmehr scheint sie sich zu fragen, wohin sich ihre Protagonistin entwickeln sollte, wenn sie es gar nicht will? Der Roman verweigert sich jeder sozialen Aufstiegsromantik, die Dienstbotenliteratur sonst nahe legt und unterhält dabei wunderbar in knappen, einfachen Sätzen, ohne ins Klischee zu verfallen. Das Zimmermädchen ist ein Narrenspiegel, der zu jeder Figur die Wahrheit spricht – und wie jeder Narr die Freiheit genießt, dafür nicht geköpft zu werden. Doro Wiese
Annegret Held: Das Zimmermädchen, Marebibliothek, Hamburg 2003. 250 S., 18 Euro