: Revisionist unter dem Radar
Urbane Paranoia und andere existenzialistische Grenzerfahrungen: Steve Wynn, Überlebender des Paisley Undergrounds, komplettiert das Achtzigerjahre-Revival
Die ersten Cowboystiefel wurden bereits gesichtet. Es wird Zeit, die Bolo-Ties zu entstauben und die paisleygemusterten Hemden über den Hosengürtel zu hängen. Die Achtzigerjahre, das wird langsam wieder sichtbar, waren nicht nur Synthies und Popperlocken, sondern auch verzerrte Gitarren und urbane Paranoia. Da trifft es sich, dass pünktlich zur Vervollständigung des Eighties-Revivals nun auch Steve Wynn mit „Static Transmission“ die beste Platte herausgebracht hat seit jenen frühen Tagen, in denen er als Sänger, Gitarrist und Songschreiber seiner Band Dream Syndicate half, dem amerikanischen Indie-Rock erste Gestalt zu geben.
„Ja“, sagt Steve Wynn, „ich fühle mich wie ein Überlebender.“ Einer, der Zeiten überstanden hat, in denen Alkohol als Grundnahrungsmittel galt, in der auch sonst allerlei eingeworfen wurde und Konzerte mitunter an existenzialistische Grenzerfahrungen gemahnten. Irritierender aber noch als die Tatsache, dass Wynn mit Anfang vierzig frappierend fidel vor einem sitzt, ist ein kleiner, aber nicht zu überhörender Sprachfehler. Steve Wynn lispelt, wenn er erzählt, dass er sich genau so eine Karriere dereinst erträumte, als er selbst Alex Chilton oder Jonathan Richman verehrte: „Es ist einfacher zu überleben, wenn man unter dem Radar entlangfliegt.“
Andere, gute Freunde von Wynn, sind zu hoch geflogen, wenn auch nur einmal: Die Bangles, damals in den frühen Achtzigern ebenfalls Teil der Szene aus Los Angeles, auch Paisley Underground genannt, versuchen dieser Tage wieder einmal, ihr durch „Eternal Flame“ versehentlich erworbenes Image loszuwerden. „Wenn man mal einen Hit hatte, ist es schwierig, wieder zu sich zu finden“, sagt Wynn. Vielleicht gerade weil er nie dieselbe Musik gemacht hat. Zwischenzeitlich hat er eher poppige Platten produziert, dann mal ein sauber abgemischtes Gitarrenalbum, immer wieder auch müden Altherrenrock. Mit dem Kumpels-rocken-zusammen-Projekt Gutterball erlebte er ein bescheidenes Karrierehoch und nun, nach diversen Solo-Alben, scheint sich mit „Static Transmission“ der Kreis wieder zu schließen. „Eine sehr dunkle, nervöse Platte“, sagt Wynn, „die von Gefühlen wie Zweifel, Panik, Unsicherheit handelt.“ Eine Platte, die auszeichnet, was schon „The Days of Wine and Roses“, das 82er-Debüt des Dream Syndicate zu einer der besten Gitarrenrockalben aller Zeiten machte: Das von teenage angst getriebene Eindreschen auf die Saiten, die Melancholie, die fiesen Töne an der Schmerzgrenze, die Lust am Untergang – das alles ist wieder da, wenn auch gefiltert durch die Weisheit des Alters.
Milde lächelnd sagt Wynn, er sein „kein Revisionist“, erzählt aber doch gern aus alten Tagen und verortet sich schon mal selbst als „Teil einer Entwicklung, die von Iggy Pop über Gun Club und Dream Syndicate zu Indie-Rock und schließlich zu den Strokes“ führt, ohne dabei auch nur im Geringsten anmaßend zu wirken. Nach 20 Jahren im Geschäft, nach mehr als 300 Songs hat der mittlerweile in New York lebende Wynn sich noch immer sein All-American-Boy-Lächeln bewahrt und dazu eine nahezu buddhistische Ruhe hinzugewonnen. Heute sagt er Sätze wie „Perfekt ist nicht perfekt“ und plädiert für die Kostbarkeit eines misslungenen musikalischen Augenblicks. Ein Kritiker verglich Wynn kürzlich mit Orson Welles, der mit „Citizen Kane“ debütierte und dann den Rest seines Lebens daran gemessen wurde. „The Days of Wine and Roses“ ist heute noch zeitlos, weil nicht perfekt. „Das ist doch ein gutes Gefühl, wenn man nicht nur eine Mode war, sondern manchen Menschen wirklich etwas bedeutet hat.“ THOMAS WINKLER
Heute, 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Str. 224, Prenzlauer Berg