: Im Sog der Märkte
Nach vielen Jahren Umweltengagement rückt nun die soziale Seite der Nachhaltigkeits- diskussion in den Vordergrund
VON CHRISTEL BURGHOFF
Nichts schreckte für lange Zeit TourismuskritikerInnen mehr als das rasante Wachstum dieser Industrie. Dann, 2001, hatte der Aufschwung ein Ende. Doch niemand atmete erleichtert auf. Warum? Des Rätsels Lösung ist schlicht: Der Einbruch des weltweiten Tourismus traf auch die Öko- und Modellprojekte für einen anderen, verträglicheren Tourismus. Während der Jahre der Nachhaltigkeitsdiskussion wurden viele Innovationen auf den Weg gebracht, wurden Dorfentwicklungsprojekte initiiert und es wurde versucht, mit partizipatorischen Ansätzen im Tourismus der Armut in vielen Reiseländern zu begegnen. Generell, so die GTZ, die weltweit in rund hundert touristischen Projekten engagiert ist, sind vom Besucherrückgang Projekte in islamisch regierten Ländern besonders betroffen. Es gibt aber auch Nutznießer der weltpolitischen Verwerfungen – etwa in Südafrika.
Der wirtschaftlichen Flaute zum Trotz stehen bei den Gruppen, die in der Arbeitsgemeinschaft Dante organisiert sind, Wachstumsthemen auf dem Programm. Und nicht ohne Grund: Die neue globale touristische Runde geht mit erheblich verbesserten Bedingungen für die Global Player einher. Die Politik der Welthandelsorganisation WTO-OMC zur Liberalisierung der Handelsströme zielt auch auf den Tourismus. Die Frage ist, wie sie sich auf die Nachhaltigkeit auswirkt.
Engagierte Gruppen wie Equations in Indien oder Akte (Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung) in der Schweiz haben bereits in den Neunzigerjahren die Welthandelsbedingungen unter die Lupe genommen. Und gewarnt: vor übereilten Hoffnungen auf größeren Reichtum in ärmeren Ländern, weil gerade beim organisierten und beim Luxustourismus der Rückfluss touristischer Einnahmen in die reichen Länder besonders hoch ist.
Die größeren Zugeständnisse nationaler Regierungen an ausländische Investoren bedrohen überdies kommunale Selbstverwaltungen und Spielräume für nachhaltige Entwicklungen; man fürchtet auch um Naturschutzgebiete, wenn internationalen Gesellschaften Zugang verschafft wird. Ökologisch verträglicheres Wirtschaften und soziale Standards drohen in denökonomischen Verstrickungen unterzugehen.
Das Zauberwort „Weltsozialforum“ hat nun auch die Tourismuskritiker erreicht. Akte, Tourism Watch (Evangelischer Entwicklungsdienst) und iz3w (Informationszentrum Dritte Welt) brachten – gemeinsam mit der indischen Organisation Equations und der in Hongkong ansässigen Ecot (Ecomenical Coalition on Tourism) erstmals touristische Themen ins Weltsozialforum ein. In Bombay standen vor allem die Rechte der Menschen, die in touristischen Gebieten leben und sich ihr Auskommen sichern wollen, auf der Tagesordnung. Eines der besonders schwierigen Themen ist die Kinderprostitution, mit der sich Ecpat (Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung) auseinander setzt. Die Vernetzung der NGOs auszubauen, neue Verbindungen zu knüpfen, sagt Christine Plüss von Akte, war ein entscheidender Grund für den Gang nach Bombay.
Bombay steht nicht zuletzt für Selbstbehauptungsstrategien im „anderen“ Reisesektor: Erreichtes zu sichern, neue Möglichkeiten aufzutun. Die Interessenlagen der Initiativen sind verschieden: Manche suchen nach einer attraktiven Marketingplattform oder einem Zugang zu den Professionalisierungsprojekten etwa der GTZ; andere, wie Tourism Watch, engagieren sich entschieden für die Menschenrechte. Akte rief im letzten Jahr die Fair-Trade-Kampagne aus und will für den touristischen Dienstleistungsbereich ähnliche Erfolge, wie sie etwa mit „fair“ gehandelten Lebensmitteln schon erzielt wurden. Akte bringt eine gewerkschaftliche Orientierung mit ein.
Die neuen Schwerpunkte haben indes auch interne Rückwirkungen: Umweltorganisationen und auch die Naturfreunde Internationale, die in Dante ein starkes Gewicht hatten, halten sich nun im Hintergrund. Für das iz3w oder auch für Akte ist die entwicklungspolitische Arbeit praktisch die Fortführung ihres klassischen Engagements für die weltweite Verteilungsgerechtigkeit.
CHRISTEL BURGHOFF lebt als freie Autorin in Frankfurt am Main