: Vom Krankenhaus zum Notfall
Dem Berliner Krankenhauskonzern Vivantes geht es schlecht. Sehr schlecht. Teures Personal, Mangel an Eigenkapital und ein Berg von Altschulden rücken die Pleite in Sichtweite. Mit ihrer Bescheidenheit sollen die MitarbeiterInnen den Konzern retten
VON ANGELA MISSLBECK
Wer derzeit in einer der neun Vivantes-Kliniken eine lächelnde Ärztin oder einen gut gelaunten Krankenpfleger trifft, muss es mit einem unverbesserlichen Optimisten zu tun haben.
Seit Jahresanfang verstetigt sich die Besorgnis der rund 14.000 Vivantes-Mitarbeiter, ihren Arbeitsplatz bald zu verlieren. Denn dem erst 2001 gegründeten Klinikkonzern droht die Insolvenz. Spätestens im Mai sei kein Geld mehr da, berichten Zeitungen und sagen Politiker. Deshalb, so die Forderung, sollen die Beschäftigten auf das 13. und 14. Monatsgehalt verzichten und allein in diesem Jahr so 34 Millionen einsparen. Das schlägt nicht nur die Geschäftsleitung von Vivantes vor, sondern auch das Land Berlin als alleiniger Anteilseigner der Klinik GmbH. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) machte eine Aufstockung des Landeskredits davon abhängig, ob die Arbeitnehmer ihren Beitrag leisten – oder nicht.
Bei Ver.di gilt ein Verhandlungstermin Ende Februar als realistisch, vorausgesetzt, die Gewerkschaftsmitglieder in den Vivantes-Betrieben stimmen den Verhandlungen zu. Obwohl sich der Betriebsrat vorige Woche zu einem einmaligen Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld durchgerungen hat, überzeugt viele diese Lösung nicht. Für sie sprach am Montag der Betriebsratsvorsitzende Volker Gernhardt – und trat zurück. „Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, weil es bei einem einmaligen Verzicht nicht bleiben wird“, begründete er seinen Schritt. Auch am Donnerstag bei einer Betriebsversammlung im ICC erhielt Gernhardt lautstarken Beifall, als er mit seiner Forderung ans Mikrofon trat, „dem Druck nicht nachzugeben“. Gernhardt kündigte zudem eine schriftliche Umfrage unter den Beschäftigten an, bevor Ver.di mit dem Kommunalen Arbeitgeberverband Verhandlungen über einen „Notlagentarifvertrag“ aufnehmen kann. Doch das kostet Zeit – und Ende Mai könnte der Konzern bereits pleite sein.
Immerhin bot die Versammlung den Mitarbeitern Gelegenheit, ihrem Ärger und Frust wenigstens Luft zu machen. Besonderen Zorn erregte die nun bekannte Tatsache, dass im Geschäftsjahr 2002 trotz knapper Mittel noch Sonderprämien für 23 leitende Ärzte und 3 Regionaldirektoren gezahlt wurden. Vivantes-Chef Wolfgang Schäfer musste gestehen, 500.000 Euro gezahlt und BMWs für den Vorstand gekauft zu haben. Währenddessen beklagen Vivantes-MitarbeiterInnen, dass es längst an Personalhandtüchern mangele, andere berichteten, dass notwendige Laborlieferungen ausblieben; auch auf der Baustelle des Krankenhauses Neukölln ruhe die Arbeit, weil die Firmen Angst um ihre Bezahlung hätten. Das Vertrauen der Vivantes-Mitarbeiter habe er verspielt, räumte Schäfer selbst vor den versammelten 5.000 Beschäftigten ein.
„Die Belegschaft wurde bei der schnellen Zentralisierung nicht mitgenommen“, kritisiert auch Elfi Jantzen, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. „Ich habe den Eindruck, die Geschäftsleitung nutzt das Potenzial vieler guter Leute nicht“, so Jantzen.
Doch nicht nur die schnelle Zentralisierung, auch die misslungene Gründung zweier Tochterunternehmen lasten schwer auf dem überschuldeten Konzern – und seinem Chef Schäfer. Der sieht die Schuld allerdings beim Senat. Eigenkapital fehlte, und 190 Millionen Euro Altschulden und Grundstücke, die sich auf dem schwächelnden Berliner Immobilienmarkt nicht versilbern lassen, bekam Vivantes vom Land Berlin bei seiner Gründung im Mai 2001 mit auf den Weg.
„Wir haben schon immer die Entschuldung gefordert“, sagt auch Elfi Jantzen, „ jetzt müssen die Beschäftigten die Fehler der Geschäftsführung und der Politik ausbaden.“ Doch auch Jantzen glaubt: „Ohne ihre Mithilfe wird es nicht gehen.“
Zu dem Defizit von knapp 30 Millionen Euro am Jahresende 2003, das die Insolvenz heraufbeschworen hat, trugen nach Angaben der Vivantes-Sprecherin Fina Geschonneck die Tarifabschlüsse vom Sommer maßgeblich bei. Während die Landesangestellten leer ausgingen, weil Berlin aus den Tarifverträgen ausstieg, bekamen die Vivantes-Mitarbeiter die volle Gehaltserhöhung. Mit insgesamt 566 Millionen Euro lagen die Personalkosten Ende 2003 11 Millionen Euro über dem Plansoll, obwohl nach Angaben von Vivantes mehr Stellen abgebaut wurden als vorgesehen. „Die Stellenkürzungen sind zum Teil so heftig, dass in manchen Bereichen wirklich Unterversorgung zu herrschen scheint“, bestätigt Jantzen. Viel Schönrederei habe es im letzten Jahr gegeben, sowohl seitens der Vivantes-Führungsspitze als auch von Senatsseite.
Dabei hätte der Konzern den bisherigen Kreditrahmen von 217 Millionen Euro noch vor Ende März überzogen. Da kam die Bewilligung der ohnehin geplanten Erhöhung auf 230 Millionen Euro gerade noch rechtzeitig. Das Land Berlin, das sich anfangs geweigert hatte, zur Konsolidierung des Krankenhausbetreibers beizutragen, stundet dem Konzern bis März die Zinszahlungen für die Altschulden.in Höhe von 5 Millionen Euro jährlich. Damit und mit dem Gehaltsverzicht der Mitarbeiter könnte der Konzern insgesamt 52 Millionen Euro einsparen. Allein die jährlichen Personalkosten von 566 Millionen Euro sind fast elfmal so hoch.
Nun soll Vivantes-Chef Schäfer bis Ende März ein solides Finanzkonzept vorlegen. Jantzen glaubt nicht daran: „Ich fürchte, das wird kein Konzept, das aus der Misere herausführt.“
Auch die Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) sorgt sich um Vivantes. Schließlich versorgt der angeschlagene Konzern ein knappes Drittel der Klinikpatienten in der Hauptstadt. Pro Jahr sind das knapp 180.000 Patienten. BKG-Chef Hans Jürgen Reinecke sagt: „Die Krankenhausversorgung Berlins ist ohne Vivantes nicht denkbar.“ Ebenso undenkbar sei allerdings, dass Vivantes den Betrieb einstellt. „Letztlich muss das Land Berlin als Gesellschafter ran“, so Reinecke. Die Senatsverwaltung für Gesundheit schließt dagegen eine Rücknahme der Kliniken aus. „Bezirkskrankenhäuser wird es nicht wieder geben“, sagt eine Sprecherin. Im Fall einer Pleite müsste der Insolvenzverwalter nach Kapitalgebern suchen. Ob die Kliniken dann einzeln oder als Paket verkauft werden, hängt von den Interessen des Käufers ab. „Grundsätzlich sind wir nicht der Meinung, dass man Vivantes privatisieren muss“, sagt Elfi Jantzen, räumt aber ein: „Wenn tatsächlich ein Investor da wäre, könnte man über konkrete Angebote verhandeln.“ Ein Kandidat steht anscheinend schon bereit. Laut Presseberichten hat der private Rhön-Klinik-Konzern ein Auge auf die Hauptstadt-Krankenhäuser geworfen.