: Auf ins Zentrum
Der HipHopper Scott Herren öffnet seine Klangästhetik
Er hat immer an den Rändern gearbeitet. Im Halbdunkel, allein in seinem Apartment, irgendwo in Atlanta. Scott Herren ist ein klassischer Einzelgänger, der an Innovationsschüben für ein Genre feilt, das nur noch um sich selbst zu kreisen scheint: HipHop kann die Glücksversprechungen immer seltener erfüllen. Herren könnte mit seinem überbordenden Talent in die Phalanx der Neptunes und Timbalands einbrechen. Schafft dieser blasse Mittelklassejunge den Schritt in die Großproduzentenliga? Und: Will er das überhaupt?
Allzu lange sperrten sich seine Musik der Vereinnahmung durch den Mainstream. Säuberlich isolierte Herren seit 1999 unter seinem Pseudonym Prefuse 73 kleinste Partikel diverser Samplingquellen, reorganisierte sie zu mal ruhig-ätherischen, mal hektisch-schreddernden Tracks. Er entkräftete das Primat des Wortes, indem er einzelne Wortfetzen, gar Silben und Atemzüge rappender MCs aus ihrem Kontext extrahierte und in sein ureigenes Gesamtbild abstrakter HipHop-Beats einfügte.
So hat er sich einen Trademark-Sound kreiert, an dem jüngst gar Beyoncé Knowles großes Interesse bekundete. Der Weg in die breite Öffentlichkeit scheint geebnet. „Warum nicht, ich bin bereit dafür“, zuckt Herren die Schultern. „Allerdings muss ich nicht wie Pharell Williams von den Neptunes mein T-Shirt im Video ausziehen.“
Lange Zeit war der 28-Jährige nicht bereit, die selbst gewählte Isolation zu durchbrechen und sich auf die Mechanismen des Marktes einzulassen. Seine Kollaborationen mit Underground-Rappern wie Beans oder Mr. Lif und Aesop Rock deuten allerdings einen Wandel an. Er unterwirft sich in diesen Produktionen ganz dem Song, ohne Angst vor griffigen, bisweilen poppigen Arrangements. „Ich halte das für einen Reifeprozess, das konnte ich früher nicht. Die Spannungen und Konflikte, die es ja bei jeder Zusammenarbeit gibt – auf die hatte ich lange Zeit überhaupt keine Lust.“ Und wie kam es zu dieser Geisteshaltung? Liegt es an seinem Umzug ins sonnige Barcelona?
Herren fühlt sich offensichtlich unwohl, wenn seine biografischen Entwicklungen mit künstlerischen Neuorientierungen verknüpft werden. „Solche Interpretationen liegen mir nicht, das ist nicht mein Job. Nur so viel: In Atlanta habe ich puertoricanische Freunde, die nicht ein Wort Spanisch sprechen können. Da mein Vater Spanier ist, wollte ich näher an meine Wurzeln, mitsamt einer neuen Kultur, einer neuen Sprache. Diese Platte ist das Produkt meiner Versuche, mich hier einzuleben.“
Diese Bemühungen haben Herren in ein neues Universum katapultiert. Mit seinem Zweitprojekt Savath & Savalas, dessen Album „Apropa’t“ (Warp/Zomba) in diesen Tagen erschienen ist, widmet er sich ganz bewusst Themen wie Liebe, Entfremdung, Einsamkeit – auf einem spanisch/katalanischen Folkalbum. Mitsamt klassischer Instrumentierung (Gitarre, Bass, Schlagzeug plus Trompeten, Klarinetten) und mitsamt fester musikalischer Partnerin, seiner spanischen WG-Genossin Eva Puyuelo Muns. Seine Soundscapes sind ins zweite Glied gewandert; fragile Gitarrenläufe, zarte Basstupfer und warme, schmeichelnde Harmonien entfalten sich bedächtig. Die Betonung liegt hier klar auf dem Songformat, auf Melodien, Akkordfolgen, gar Texten. Hat sich seine Einstellung zur menschlichen Stimme geändert? „Nein, es ist einfach ein traditionellerer Ansatz, Songs zu machen: Texte schreiben, auf der Gitarre spielen, sehr basic. Und das auch noch zu zweit! Eigentlich undenkbar für mich.“
Auch wenn Herren immer noch mit den Insignien des HipHop (Daunenjacke, Wollmütze, bullige schwarze Designerbrille) in einem Hotel sitzt, so hat er doch das eng gewordene Korsett dieses Genres aufgeschnitten. Vielleicht hören wir ja doch bald einen zerschredderten Remix von Britney Spears im Radio. Scott Herren hat die Ränder verlassen, er ist auf dem Weg ins Zentrum. HEIKO BEHR