Das ganze Land steht still

Morgen spielen die Außenseiter von den Carolina Panthers gegen die New England Patriots umden Gewinn der Super Bowl des American Football, und fast eine Milliarde Menschen schaut zu

AUS HOUSTON SEBASTIAN MOLL

In Europa führen Autobahnen gemeinhin an den Rand der Innenstädte oder umringen diese. Der zehnspurige Freeway 59 schlängelt sich hingegen – wie eine überdimensionierte Achterbahn, mal auf 20 Meter hohen Betonpfeilern, mal ebenerdig – mitten durch die Downtown von Houston. Über mehrere Kilometer zieht sich unmittelbar am 59 das George Browne Convention Center entlang – ein gigantischer Messekomplex von den Ausmaßen des kompletten Münchner Olympiageländes. Rund 3.600 Journalisten arbeiten hier in der Woche vor der Super Bowl des American Football zwischen den Carolina Panthers und den New England Patriots.

In Amerika, so das Klischee, ist alles größer als anderswo, und in Texas ist alles am größten. Mit der größten texanischen Stadt Houston hat die Super Bowl so in diesem Jahr die passende Heimat gefunden. Die Super Bowl ist mit Abstand das größte Sportspektakel der USA – von den reinen Zahlen her vielleicht das größte der Welt. Allein in den USA werden 140 Millionen Zuschauer das Spiel am Sonntag verfolgen, geschätzte 800 Millionen schauen weltweit zu, und 30 Werbesekunden kosten 2,5 Millionen Dollar. Tickets zum Spiel gibt es zwischen 600 und 800 Dollar. „Das ganze Land steht am Super-Bowl-Sonntag still“, beschreibt Christopher Price, Reporter der Bostoner Zeitung Metro, die Bedeutung. „Der kulturelle Stellenwert des Spiels ist mit nichts anderem zu vergleichen. Schon gar nicht mit irgendeinem anderen Sportereignis.“

Dabei waren die Anfänge der Super Bowl eher bescheiden. Erst 1966 fand das erste Spiel zwischen Green Bay und Kansas City, den jeweiligen Champions der NFL und der Konkurrenzliga AFL, statt. Das spätere Olympiastadion von Los Angeles war gerade einmal halbvoll, die Ticketpreise wurden in den Tagen vor dem Spiel auf fünf Dollar gesenkt. Das legendäre Finale um die NFL-Meisterschaft 1958 zwischen den Baltimore Colts und den New York Giants hatte dem Football zwar einen Popularitätsschub gegeben und den Launch einer zweiten Liga ermöglicht. Die Super Bowl zwischen den besten Teams beider Ligen, so NFL-Sprecher David Tossell, fand jedoch erst nach 1969 breites Interesse, als mit den New York Jets erstmals ein Team der AFL gewann. Mit dem Sieg der Jets wurde die AFL – und somit die Super Bowl als echter Wettbewerb – wirklich ernst genommen.

Christopher Price glaubt, dass die Super Bowl zum erfolgreichsten Sportspektakel der Welt avanciert ist, weil der Sport so simpel ist: „Es ist sehr leicht, ein Football-Fan zu werden: Beide Mannschaften versuchen den Ball über die Endlinie zu bugsieren – mehr muss man nicht wissen, um das Spiel zu verstehen.“ Zu der Einfachheit des Spiels passt die Klarheit des Modus: Statt einer komplizierten Best-Of-Seven-Serie gibt es ein Endspiel. Das erzeugt eine klare Dramatik, die in den 14 Tagen zwischen Halbfinale und Super Bowl in den amerikanischen Medien bis zur Unerträglichkeit aufgebaut wird.

Oft wird der Erfolg der Super Bowl aber auch auf das geschickte Marketing der Liga zurückgeführt. Das Produkt ist nicht nur leicht verständlich und überschaubar. Durch eine geschickte Finanzpolitik ist auch für Abwechslung gesorgt. Seit der Rechtsanwalt Paul Tagliabue 1990 Commissioner wurde, verhindert die Lohnbegrenzung für Spieler Star-Ensembles, wie sie in anderen amerikanischen und europäischen Profiligen üblich sind: „Im europäischen Fußball“, so NFL-Mann Tossell, „gewinnen immer die gleichen Mannschaften. In der NFL hat es in den vergangenen zehn Jahren acht verschiedene Sieger gegeben.“

Jason Cole vom Miami Herald möchte hingegen der NFL den Ruhm für den Erfolg ihres Produktes nicht gönnen: „Sie ist nicht deshalb erfolgreich, weil sie ein besonders schlaues Marketing betreibt“, meint der Reporter. Den Grund für die Beliebtheit des Sports sieht Cole vielmehr in dessen offensichtlichen Qualitäten, die jedoch kaum jemand auszusprechen wagt: „Die Attraktion des Football ist die Gewalt. Die Leute lieben Gewalt.“ Der Hang zur Gewalt, so Cole, sei jedoch eindeutig kein speziell amerikanisches Faible: Die Super Bowl 2004 wird in 220 Länder übertragen.