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Archiv-Artikel

berliner szenen Passbildtücken

Schlimm bis 2013

„Unmöglich, heute kann ich auf keinen Fall Passbilder machen lassen“, dachte ich meinem Spiegelbild entgegen. Zu dunkel waren die Schatten unter den Augen, zu unausgeschlafen sah ich aus, zu ungut war überhaupt der Gesamteindruck. Es dauerte drei lange Wochen mit ungültigem Personalausweis, bis ich einigermaßen zufrieden mit mir war und zu einem Foto- und Passbildgeschäft ging.

Hier bat mich ein netter junger Mann, Platz zu nehmen – direkt neben einer Dose voller Bürsten, Kämme und Haarsprays, die den Passbildwilligen zur freien Verfügung gestellt wurden. Den Anweisungen des Fotografen folgend brach ich mir fast den Hals, als ich mein rechtes Ohr freilegen und gleichzeitig meine beiden Augen in die Kamera halten musste – obwohl mein restlicher Körper nach links ausgerichtet bleiben sollte. Der Vater meines Freundes T. hatte einst erklärt, dass man auf Bildern im Ausweis das komplette Ohr sehen müsse, da bei Verbrechern immer ein Stück vom Ohr fehlen würde. So habe ich das zumindest in Erinnerung. Mein Ohr war schließlich sehr gut getroffen.

Doch auf drei Bildern sah ich original so verspannt aus, wie die Frauen aus vielen französischen Filmen, die immer ganz schrecklich leiden und beim Anblick einer Sparlampe schon schwerste Migräne bekommen. Auf dem vierten sah ich nur ein bisschen so aus. „Unter den Augen mache ich es ein bisschen heller“, sagte der Mann und bearbeitete taktvoll meine Schatten in Photoshop. T., der Einzige, dem ich bisher das Bild gezeigt habe, meinte hingegen: „Siehst ein bisschen kindisch aus. Warum hast du bloß einen Ringelpulli angezogen?“ Zu alt, zu jung, aber am schlimmsten ist: Der Ausweis bleibt gültig bis 2013. JUTTA HEESS