: „Ich habe Ussama Bin Laden getroffen“
INTERVIEW NOBUHIKO MURATA
Herr Sánchez, wie sind Ihre Haftbedingungen? Was machen Sie den ganzen Tag?
Illich Ramirez Sánchez: Seit Anfang Dezember ist das juristische Verfahren abgeschlossen, ich muss jetzt täglich in der Justizvollzugsanstalt arbeiten. Es ist eine sehr monotone, langsame und schlecht bezahlte Arbeit. Es macht mich depressiv. Außerdem befinde ich mich in totaler Isolationshaft, daher habe ich beschlossen, mein Alltagsleben selbst zu organisieren. Das heißt, ich lese und schreibe, so viel ich kann. Gegenwärtig bin ich an der Politik von Libyen sehr interessiert.
Libyen? Oberst Gaddafi ist sicherlich mit Hilfe seines Sohnes auf den Westen zugegangen.
Gaddafis Sohn ist ein muslimischer Bürger. Er konnte wie die anderen Libyer lange Zeit keine Kontakte mit dem Westen aufnehmen, weil es ausländischen Gerichten gelungen war, mit Manipulationen für Sanktionen gegen Libyen zu sorgen – wegen einer angeblichen militanten Haltung Libyens. Gaddafi hat es verstanden, über seinen Sohn, der unter anderem für die Volksernährungspolitik im Lande zuständig ist, Kontakte mit dem Westen zu ermöglichen. Gaddafi junior ist ein zivilisierter junger Mann. Als er noch ein kleines Kind war, traf ich mich mit ihm. Ich hoffe, dass er sich an mich noch erinnert.
Sie kannten Gaddafis Sohn. Kannten Sie auch Assad junior, den heutigen Präsidenten von Syrien?
Er war ein sehr scheuer und höflicher Junge. Er sagte immer Onkel zu mir. Ich hatte mit der Familie Assad eine enge Beziehung.
Und wie steht es mit dem Irak ? Haben Sie Saddam Hussein auch gut gekannt?
Ich studierte Ökonomie, und mein Fachgebiet waren die Außenbeziehungen. Daher weiß ich, was Souveränität bedeutet. Über meine Beziehungen zu Saddam Hussein und Irak will ich nichts sagen, da ich dazu schon ein Buch geschrieben habe. Die heutige Situation in Irak ist viel wichtiger als meine Beziehung zu Saddam Hussein.
Sie kannten darüber hinaus den militanten Palästinenserführer Abu Nidal, vermutlich auch Ussama Bin Laden. War es so?
Ich habe Ussama Bin Laden getroffen. Abu Nidal und ich waren in Khartum im Sudan. Wir haben dort die „revolutionäre Zellen“ aus Ägypten besucht. Zur gleichen Zeit hielt sich ein Mann aus Saudiarabien im Sudan auf, der Ussama Bin Laden hieß. Ich habe ihm keinerlei Hilfe gegeben. Ich mag das Volk von Amerika sehr, aber ich bin ein Feind des US-amerikanischen Imperialismus. Ich habe Ussama Bin Laden im Libanon kennen gelernt. Er bemühte sich damals um den Wiederaufbau des Libanon. Ich selbst suchte die Revolutionären, die für die Völker der Welt kämpfen.
Aber der Muslim Abu Nidal und der Fundamentalist Bin Laden hatten doch sicherlich einen anderen Begriff von Revolution, als Sie ihn hatten?
Abu Nidal war kein Islamist. So wie der Operationschef der PFLP (Volksbefreiungsfront für Palästina), Wadi Haddad, haben wir gemeinsam für die palästinensische Revolution gekämpft. Zu Bin Laden ist zu sagen: Er war nicht proamerikanisch. Die Ereignisse in Afghanistan haben ihn gezwungen, Widerstand gegen die sowjetische Rote Armee zu leisten. Der amerikanische Geheimdienst CIA stand auf der antikommunistischen Seite, aber Bin Laden war nicht wegen Geld auf derselben Seite. Er war immerhin ein wohlhabender Geschäftsmann. Ich bin Kommunist, er ist Mudschaheddin. Trotzdem, ich schätze ich ihn als Kämpfer. Er war nie korrupt und immer für die armen Menschen. So kenne ich Bin Laden aus der Zeit in Beirut. Dass er ein Kämpfer ist, wurde im September 2001 in den USA bewiesen.
Sie sagen, Sie sind Kommunist, Sie geben aber auch den Islam als Ihr Glaubensbekenntnis an.
Ich bin immer noch Kommunist, aber kein Anhänger des „historischen Materialismus“ mehr. Mein Glaube an Gott ist meine persönliche Frage, das hat mit Politik nichts zu tun. Kommunismus ist für mich auch nicht gleich Atheismus.
Können Sie uns etwas über Ihren Überfall auf das Treffen der OPEC-Minister in Wien 1975 sagen?
Ich habe mit dem Bundeskanzler Österreichs am Flughafen zwei- oder dreimal gesprochen. Es ging um unsere „Abreise“ und um die Freilassung der „Gäste“. Er war sehr höflich und sachlich. Ich schätze Bruno Kreisky sehr, er war ein guter, ehrlicher und intellektueller Mensch, obwohl er Jude war. Kreisky war palästinafreundlich, er unterstützte Jassir Arafat. Wir konnten deshalb die Vereinbarung treffen, dass die österreichische Polizei die Opec-Hauptverwaltung nicht „illegal“ erstürmt und dass wir die Sicherheit der „Zivilisten“ gewährleisten.
Ist Ihnen der Name Gerd Albartus bekannt?
Wer? Ein Geschäftsmann? Albartus – ach, ich kenne ihn. Er war Polizeibeamter oder hat für die Polizei gearbeitet. Was ist mit ihm ?
Er wurde ermordet.
Wirklich? Wer hat ihn ermordet ? Wie kam es dazu?
Es gibt den Verdacht, dass Sie damit zu tun hatten …
Wer sagt, dass er umgebracht wurde?
Die Polizei.
Dann stellen Sie die Frage der Polizei! Ich weiß davon überhaupt nichts.
Sie hatten auch Genossen in Japan, die „Japanische Rote Armee“ (JRA). Wie sind Ihre Kontakte entstanden ?
Wir haben alle in Palästina an der Seite des palästinenschen Volkes gekämpft. Der Operationschef der PFLP, Wadi Haddad, hat die Zusammenarbeit mit den Freunden aus Japan und aus Deutschland koordiniert.
Die Japanische Rote Armee soll Ihr langer Arm gewesen.
Wir waren Waffenbrüder, aber die JRA stand keineswegs unter meinem Kommando. Ich kannte nicht einmal die richtigen Namen der JRA-Mitglieder. Jede Organisation kooperierte einzeln mit der PFLP, es gab es kein „internationales Terrornetzwerk“.
Wer waren für Sie die besten Genossen: die deutsche RAF, Irlands IRA, die ETA in Spanien, Action Directe in Frankreich oder die italienischen Roten Brigaden?
Sie müssen das aus der historischen Perspektive betrachten. Dr. George Habash und seine Organisation PFLP waren in Beirut und Damaskus praktisch der Mittelpunkt aller Beziehungen zu all diesen Gruppen.
Wenn Sie ein zweites Leben hätten, wollten Sie noch einmal „Weltrevolutionär“ sein ?
Ich bin heute schon „Weltrevolutionär“.
Aber im Gefängnis, und das seit 1994.
Mein Großvater, mein Onkel und mein Vater waren alle im Gefängnis, weil sie für die Revolution kämpften. Das ist eine Tradition meiner Familie.
Warum haben Sie nicht in Lateinamerika gekämpft, wie etwa Che Guevara ?
Che Guevara war keine Person meiner Generation. Ich habe selbstverständlich auch in Südamerika gekämpft, aber nicht nur dort, sondern überall in der Welt.
Empfinden Sie Reue, bei so vielen Opfern …
Ich bin nicht blind! Ich habe mit den palästinensischen Streitkräften kooperiert. Die Revolution bedeutete nicht nur Flugzeugentführungen oder Geiselnahmen. Das waren nur Teile der Militäraktionen. Die Revolution ist der Kampf für die Befreiung der Völker, die in Armut leben und deren Kinder nicht einmal in die Schule gehen können. Das heißt „Kampf gegen die Kapitalisten“, den Feind besiegen. Das ist meine Aufgabe, weil ich Soldat bin.
Vermissen Sie Ihre Kinder ?
Das tue ich, aber was kann ich dagegen tun? Ich bin Revolutionär, und ich könnte jederzeit an jedem Ort umkommen.