: Alte Bäume, neue Pipelines
Was geschieht, wenn sich die Lateinamerika-Soliszene der 80er Jahre aktueller Geschichten von Globalisierung und Widerstand annimmt? Heute starten im Metropolis die Romero-Tage
von ASTRID KUSSER
Ausgerechnet der Landschaftsverband von Nordrhein-Westfalen ist ins schmutzige Ölgeschäft in Ecuador verstrickt. Als Teil eines multinationalen Konsortiums finanziert er die neue Pipeline durch das ecuadorianische Amazonasbecken. Schmiergelder helfen, die lokalen Umweltgesetze zu umgehen. Doch vor Ort formiert sich Widerstand: Indigenas klagen vor einem internationalen Gericht, junge Aktivisten besetzen Baumwipfel im Regenwald, in der Hauptstadt bringen Ärzte und Wissenschaftler unerwünschte Forschungsergebnisse ans Licht. Die Dokumentation Giftiges Wasser – Schmutziges Geld wird im Rahmen der Romero-Tage im Metropolis zu sehen sein.
Von heute an gibt es einen Monat lang Filme und Vorträge über ökonomische Verhältnisse und politische Kämpfe in Lateinamerika. Früher wären sie wohl unter dem Motto „Dritte Welt“ gelaufen. Aber die Geschichten, die hier erzählt werden, handeln von Neoliberalismus, Globalisierung und neuen Formen des Widerstands. „Was ist los in Venezuela?“ fragt Xiomara Tortoza morgen im Weltladen in der Osterstraße. Bei der komplizierten Lage könnte man durchaus den Überblick verlieren: konservative Eliten besetzen Fabriken und blockieren Straßen, um die von den USA unterstützte Politik der Privatisierung durchzusetzen.
Mehr als dreißig Gruppen organisieren und unterstützen die Romero-Tage dieses Jahr. Die Orte – von der W3 über die B5 hin zum Weltladen in Elmshorn – verweisen auf ein immer noch gut funktionierendes Netzwerk, das in den 80er Jahren entstanden ist. Damals war die Solidarität mit Lateinamerika so populär wie heute Attac. Einerseits steht die Globalisierungskritik in dieser Tradition, weil sie sich auf ein Wissen bezieht, das in diesen Netzwerken produziert wurde. Aber sie geht auch darüber hinaus, weil sie endlich wieder offensive Forderungen formuliert: „Eine andere Welt ist möglich!“ Von diesem Glauben scheinen viele der angekündigten Veranstaltungen noch nicht angesteckt worden zu sein. Vielen Titeln ist die Defensive eingeschrieben: Nicaragua. Nachricht aus einem vergessenen Land. Mord in Mexiko : Warum musste Digna Ochoa sterben? Das Land der 100.000 Witwen. Nach wie vor wird hier an das Gewissen der Konsumenten appelliert, das Mitgefühl angesprochen, zur Solidarität mit den Armen aufgerufen. Das ist in zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen werden die Kämpfe, von denen erzählt wird, umgehend wieder unsichtbar gemacht, denn ihre Akteure kommen nur als Opfer vor. Zum anderen werden Fragen der Repräsentation – wer spricht hier eigentlich über wen? – ausgeblendet.
In dem Film Nicaragua. Nachricht aus einem vergessenen Land fühlen sich vor allem die schwäbischen UnterstützerInnen vergessen, die der Filmemacher auf einer Reise nach Nicaragua begleitet. Anstatt die eigene Geschichte kritisch aufzuarbeiten – wieso ist die Bewegung denn derart in die Defensive geraten? – erzählen sie von den zarten Pflänzchen lokaler Selbstorganisierung, die vom monetären Motor aus Deutschland bewässert werden. Dass Nicaragua eine Tradition revolutionärer Selbstorganisierung hatte, die von den Contras mörderisch bekämpft wurde, wird nur nebenbei erwähnt. Es scheint, als ginge es vor allem darum, in Deutschland ein Publikum zurückzugewinnen. Damit werden auch die eigenen Erfolge unsichtbar gemacht.
Denn es gibt dieses Publikum, auch wenn sich eine neue Generation eher in Genua als in Guatemala politisiert hat. Sie interessiert sich für soziale Bewegungen weltweit, die sich auf die eigene politische Praxis hier beziehen lassen. Davon berichten die interviewten Akteure auch, aber ein unsichtbarer Erzähler kommentiert und beurteilt munter dazwischen. Eine Mutter erzählt, dass sie von ihren Kindern nur eins in die Schule schicken kann, ihre Tochter. „Eine Seltenheit in Nicaragua, wo Frauen längst nicht so viel gelten wie Männer“, fügt der Erzähler hinzu. Für den Rest des Films war es das dann in Sachen Geschlechterverhältnisse.
Die Reihe beginnt heute mit einem biographischen Spielfilm über Romero. Am Mittwoch folgt ein Film über den Völkermord an den Mayas in Guatemala. Hier berichten überlebende Frauen und Witwen von Massakern an ihren Männern und Söhnen, was davor und währenddessen geschah, erzählt der Film aber zuwenig. Denn warum sind die Mayas der Regierung von Guatemala so gefährlich geworden, dass es des längsten Bürgerkriegs der lateinamerikanischen Geschichte bedurfte, ihren Widerstand zu brechen? Andererseits zeigt der Film aber auch neue Formen der Kollektivität auf: Überlebensstrategien, die aus der Katastrophe erwachsen sind, über diese aber auch hinausgehen.
Alles in allem präsentiert die Reihe ein Wissen, das in der Form in keiner Zeitung zu finden ist. Viele der Vortragenden sind Aktivisten aus Lateinamerika, viele leben als Migranten in Hamburg. So bildet die Reihe auch die durch Aktivismus und Migration entstandenen transnationale Netzwerke ab, die das Motto der Globalisierungsbewegung – „Her mit dem schönen Leben!“ – im Alltag bereits umsetzen. Der Titel der Reihe ist „Suche nach Gerechtigkeit“ – und die beginnt schon in der eigenen Stadt.
Romero: heute, 21 Uhr; Das Land der 100.000 Witwen: Mi, 26.3., 19 Uhr; Rio negro – Das schmierige Geschäft der West LB in Ecuador: Mo, 31.3., 19 Uhr; Die Zivilisationsbringer – Deutsche in Guatemala: Di, 1.4., 19 Uhr; Nicaragua. Nachricht aus einem vergessenen Land + Rote Bohnen – braunes Gold: Mo, 7.4., 19 Uhr; Mord in Mexiko: Warum musste Digna Ochoa sterben?: Mi, 9.4., 19 Uhr, alle Metropolis „Was ist los in Venezuela“ (Vortrag): morgen, 19 Uhr, Weltladen, Osterstr. 171; „Giftiges Wasser, schmutziges Geld“ (Vortrag und Dia-Show): Di, 8.4., Werkstatt 3; „Nicaragua – Ein Jahr Regierung Bloanos. Ein Ende der Korruption: Do, 10.4., 19.30 Uhr, Werkstatt 3