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Archiv-Artikel

Zivilbevölkerung im Blick

Die arabischen Nachrichtenkanäle vermitteln ein Bild des Krieges im Irak, das sich stark von den westlichen Fernsehwahrheiten unterscheidet. Eine Übersicht über al-Dschasira, al-Arabija & Co.

von JULIA GERLACH

Stephan Schramm ist enttäuscht: „Vorhin habe ich den Iraker doch noch gekriegt. Jetzt ist er verschwunden.“ Stephan Schramm ist Satellitentechniker in Frankfurt am Main. Am Morgen nach der ersten Kriegsnacht versucht er, das irakische Staatsfernsehen zu finden, aber das Gerät empfängt kein Signal. Schramm hat in diesen Tagen viel zu tun, Kriegszeit ist Fernsehzeit, und inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die Wahrheit im Krieg nicht nur auf der Strecke bleibt, sondern dass diese Wahrheit darüber hinaus auch sehr unterschiedlich aussehen kann, je nachdem, welches Programm man gerade anschaut. Nicht nur Irak TV, der staatliche irakische Satellitenkanal, der nach den Störungen am ersten Tag wieder auf Sendung gegangen ist, auch die anderen arabischen Sender vermitteln ein Bild des Krieges, das sich doch sehr von der westlichen Fernsehwahrheit unterscheidet.

Al Dschasira hat vorgemacht, wie ein arabischer Nachrichtenkanal funktioniert. 1996 wurde der Sender auf Wunsch des Emirs von Katar gegründet. „Die Meinung und die Meinung der anderen“ ist das Motto – und die Fernsehmacher sind stolz auf ihre weitgehende Unabhängigkeit und Freiheit. Der Sender hat Korrespondenten in aller Welt. Er unterhält große Büros in London, Washington und Paris. Aus Peking und Berlin wird berichtet und natürlich aus allen arabischen Hauptstädten. Nein, nicht aus allen: Immer wieder geht arabischen Regierenden die journalistische Unabhängigkeit zu weit, und so wurden kürzlich die Al-Dschasira-Büros in Amman und Kuwait geschlossen. Saudi-Arabien hat gar nicht erst einen festen Korrespondenten ins Land gelassen.

Als direkte Konkurrenz ging im vergangenen Monat al-Arabija in Dubai auf Sendung. Finanziert wird der Sender zum großen Teil von saudischen Geldgebern, aber auch Libanesen und Kuwaiter beteiligen sich. Al-Arabija soll die moderate Variante von al-Dschasira sein. „Wir machen auch kritische Berichterstattung“, sagt Berlin-Korrespondent Anis Abu al-Ela, „aber wir überschreiten nicht die Grenzen zur Beleidigung.“ In den hitzigen Talkshowprogrammen von al-Dschasira werden schon mal amerikanische Politiker als Hundesöhne bezeichnet, auch an Kritik an manchen arabischen Regenten wird nicht gespart. So etwas soll es bei Al Arabija nicht geben. Und natürlich profitiert der neue Sender derzeit von seinen festen Büros in Kuwait und der saudischen Hauptstadt Riad

Doch noch liegt al-Dschasira vorne, besonders in den Zeiten des Krieges. Aus Bagdad berichten bekannte Gesichter: Majid Abul Hady beispielsweise. Ihn kennen die Zuschauer schon aus Tora Bora. Auch Moderator Mohammed al-Buruti, der in diesen Tagen vor dem Nachthimmel von Mosul steht, ist ein echter Star. Al-Arabija hat al-Dschasira nun eine Reihe von Journalisten abgeworben: Mit doppeltem Gehalt, und zudem ist das Leben in Dubai für viele junge Journalisten doch attraktiver als die beschauliche Ruhe in Katar.

Abu Dhabi TV ist der dritte arabische Kanal, dessen Livebilder der Bomben auf Bagdad derzeit auch von westlichen Sendern übernommen werde. Das Programm ist kein reiner Nachrichtenkanal: Amerikanische und arabische Spielfilme wechseln sich normalerweise mit Kinder- und Sportsendungen ab. Doch in Kriegszeiten ist von Programmvielfalt nichts zu merken.

Alle großen arabischen Sender haben jetzt zur Verstärkung weitere Reporter nach Bagdad geschickt. Dort können sie sich freier bewegen als ihre westlichen Kollegen. Viele der Reporter sind selbst Iraker, und so bekommen die arabischen Zuschauer einen sehr viel klareren Eindruck davon, was der Krieg für die Zivilbevölkerung bedeutet: Al-Arabija war am ersten Tag des Krieges bei einem bekannten irakischen Fussballspieler und seiner Familie, zeigte, wie der Star sich auf den Krieg vorbereitet hat. Al-Dschasira weiß, in welchem Krankenhaus die Verletzten der Luftangriffe liegen, und sendet die Bilder, die es eigentlich in diesem Krieg nicht geben sollte.

Neben den großen Sendern sind in jüngster Zeit noch viele kleinere Satellitenprogramme an den Start gegangen: Das Arab News Network sendet seit 1996 aus London – bislang eher als Low-Budget-Programm. Ebenfalls aus London kommt Al Khalifa TV. Die Programmplattform unterhält auch einen Nachrichtenkanal, der 12 Stunden täglich on air ist. Beide Sender haben keine Korrespondenten in Bagdad und bestreiten ihr Programm mit Agenturbildern und zahlreichen Expertengesprächen.

Doch auch sie nehmen die Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung stärker in den Fokus. – Der arabische Blickwinkel ist eben ein anderer.