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Archiv-Artikel

Unterrichtsfach Krieg

Diplomatenkinder der Britischen Schule pflegen das Pro und Contra, in der Kreuzberger Berufsschule sind sich alle einig: Krieg ist falsch. Während die einen büffeln, gehen die anderen demonstrieren

von LUCIA JAY und INA KÖHLER

Seit letzten Donnerstag bleibt das eiserne Tor den ganzen Tag geschlossen. Besucher dürfen es nur nach Anmeldung passieren. Dahinter liegt, in einem kleinen Park, das weiße Schulgebäude der „British International School“ in Staaken. Das geschlossene Tor ist nur eine der Maßnahmen der Schulleitung, um die Sicherheit ihrer Schülerinnen und Schüler aus fast 40 Nationen zu gewährleisten. Viele von ihnen sind Diplomatenkinder und verbringen den ganzen Tag in der Schule. Im Lehrerzimmer habe das Kollegium überlegt, einen Probealarm durchzuführen, bei dem alle Schüler so schnell wie möglich ins sichere Haus geschafft werden sollten, berichtet die Deutschlehrerin Susanne Brauer.

Der Irakkrieg werde an der Schule zwar diskutiert, so die sommersprossige Felicia aus der 11. Klasse, aber auf eine diskrete, „britische“ Art. „Wir können hier nicht Position beziehen und sagen: Wir sind für oder gegen den Krieg. Es gibt zu viele verschiedene Meinungen“, gibt Felicia zu bedenken. Und es gibt verschiedene Hintergründe. Daniel aus New York hat Verwandte, die als US-Soldaten im Irak sind, und er unterstützt den Krieg. „Ich sehe mir jeden Tag die CNN-Nachrichten an und telefoniere mit meinen Verwandten in den Staaten.“ – „CNN??“ Felicia ist empört, „die manipulierten US-Nachrichten?“ Der US-Angriff sei nicht gerechtfertigt, da sind sich alle einig. Aber es sei auch einfach, gegen den Krieg zu sein, ohne Alternativvorschläge zu präsentieren, findet Daniel. „Wie hätte man denn Saddam sonst stürzen können?“

Die Diskussionen fallen emotional aus. Für die meisten bedeutet eine eigene Position einen persönlichen Konflikt. Fast niemand war auf der Demo gegen den Krieg. Die Schüler sollen vor allem lernen, die Meinungen der anderen zu akzeptieren, so Brauer. Und auch wenn die Gemüter sich in politischen Fragen erhitzen, in der Pause spielen alle zusammen Basketball.

In einer Klasse am anderen Ende der Stadt wird nicht so vorsichtig mit dem Thema umgegeangen: „Der 11. September war doch für Bush ein Tritt in die Eier“, sagt der Kreuzberger Fadi. Er, der 18-jährige Palästinenser mit Bürstenhaarschnitt und Gipsarm, macht den Eindruck, dass er weiß, wovon er spricht. Dass man einen solchen Tritt nicht unbeantwortet lassen kann, darüber ist er sich mit seinen Kumpels einig. Auch dass man am liebsten blind zurücktreten würde, das geben sie alle zu. „Aber ich würde den treten, der mich getreten hat“, sagt Kris, „keine unschuldigen Kinder.“ Der 20-Jährige ist Ägypter. Ihn und seine Mitschüler eint die Meinung: „Dieser Krieg ist nicht gerecht“. Sie alle absolvieren die einjährige „Berufsfachschule im Oberstufenzentrum Handel 1“ in Kreuzberg. In ihrer Klasse beträgt der Anteil von Schülern nichtdeutschsprachiger Herkunft rund 90 Prozent. Keine leichte Klasse. Die Schüler schreien durcheinander, rempeln und schmeißen mit Papier. Lehrer Rolf Mehldau, der das Thema Krieg in Sozialkunde mit ihnen bespricht, bemüht sich redlich „ihnen Gesetze und Regeln beizubringen.“ Keine leichte Sache. Bricht nicht Amerika das Gesetz?, halten sie ihm entgegen.

Für die Schüler ist das unverständlich. „Wie sollte die Welt darauf reagieren?“, will der Lehrer wissen. „Fuck Bush“, provoziert Ata, auch er ist Palästinenser. Er ist nicht gegen die Amerikaner. „Die demonstrieren doch auch gegen den Krieg, aber Bush gehört vor ein Kriegsgericht.“ Auch seine Mitschüler glauben nicht an die gute Absicht des amerikanischen Präsidenten. „Der will seinem Vater beweisen, dass er stärker ist“, schreit einer. Öl, Rache, das will er.

Am Tag X ging fast die ganze Schule auf die Straße. „Normaler Unterricht scheint uns angesichts dieser Katastrophe nicht möglich zu sein. Wir verstehen daher die SchülerInnen und Lehrerinnen, die sich an den Protesten beteiligen wollen.“ Dieses Statement ließ Direktor Karl-Heinz Wolf per Zettel verlauten. Als Schulleiter muss er auf Unterricht pochen, als Mensch findet er das Engagement seiner SchülerInnen klasse.

Eine 18-jährige Türkin ist stolz darauf, am Tag X sogar im Fernsehen gewesen zu sein: „Meine Eltern fanden das gut, die dachten, ich interessiere mich bloß für Klamotten.“