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Reiherstieg droht Schanze

Mieterinitiative in Wilhelmsburg streitet sich mit ihrer Genossenschaft um Mieterhöhungen. Sie befürchtet eine Aufwertung des Viertels mit anschließender Verdrängung der armen Bewohner

VON GERNOT KNÖDLER

Das Reiherstiegviertel ist wohl das Quartier in Wilhelmsburg, das am ehesten die Chance hat, dem Schanzenviertel den Rang abzulaufen. Es spielt somit eine wichtige Rolle beim Versuch des Senats, den Stadtteil mit Hilfe von Studentenwohnungen, einer Bauausstellung (IBA) und einer Gartenschau (IGS) 2013 aufzuwerten. Aus Sicht vieler Mieter ist das weniger schön: Sie fürchten die Nachteile der Schanze: hohe Mieten, überall Kneipen und Szene-Gänger.

Eine Gruppe von ihnen kämpft jetzt gegen ihre eigene Wohnungsbaugenossenschaft, den Bauverein Reiherstieg. Der Genossenschaftsvorstand hatte die Mieten einiger Wohnungen in der Fährstraße um 20 Prozent erhöht. Statt sich wie bisher am unteren Wert des Mietenspiegels für eine normale Wohnlage zu orientieren, landeten die Mieten jetzt beim Mittelwert. Die Mieter halten das nicht für angemessen.

„Die tatsächliche Wohnqualität wird schlechter“, sagt Jörg von Prondzinski vom „Mieterforum Reiherstieg“. Das Viertel sei ohnehin schon stark belastet durch seine Lage in direkter Nachbarschaft des Hafens und der Industriebetriebe am Reiherstieg. Wegen des Umschlagswachstums wehe mehr Ruß und Schwefeldioxid von den Schiffsgeneratoren herüber; es rollten mehr Laster durchs Quartier, der Lärm nehme zu. Die Nahversorgung im Vergleich zur inneren Stadt sei schlecht. Verschiedene Geschäfte hätten in den vergangenen Jahren geschlossen.

Die Mieterin Judith Lewis kann der Rede vom Stadtteil im Kommen nichts abgewinnen: Was heiße „im Aufwind“, fragt sie: „Es wird nur teurer.“ Dass es keinen Wohnungsleerstand mehr gebe, sei „allein dem Medienhype geschuldet“, sagt von Prondzinski – keinesfalls realen Verbesserungen. Auch die IBA habe daran nichts geändert.

Klaus Wüstermann von der Interessengemeinschaft (IG) Reiherstieg, die gemeinsame Werbeaktionen der Geschäftsleute im Viertel auf die Beine stellt, findet, „in kleinen Schritten“ verbessere sich die Lebensqualität durchaus. „Das Interesse, hier Gastronomie zu eröffnen, ist deutlich gestiegen“, sagt er. Für Mieterhöhungen sei es vielleicht noch ein bisschen früh.

„Wir haben ein Problem, was die Nahversorgung angeht“, sagt Arno Siebert von der Bremer Gesellschaft für Stadtentwicklung (GFS), die das Sanierungsgebiet „Südliches Reiherstiegviertel“ betreut. „Das Problem ist, dass wir im Reiherstiegviertel Bestände in Baualtersklassen haben, die sehr gefragt sind“, sagt Siebert. Das treibe die Mieten nach oben.

Thorsten Schulz, Vorstand des Bauvereins Reiherstieg, rechtfertigt die Mieterhöhung mit dem Instandsetzungs- und Modernisierungsbedarf. Die Bauvereinsmieten seien, am freien Markt gemessen, immer noch niedrig.

Schulz hat dem Mieterforum als Kompromiss angeboten, vorerst nur um gut elf Prozent zu erhöhen – auf 5,52 Euro netto kalt. Weitere neun Prozentpunkte kämen dann in anderthalb Jahren drauf. „In Zukunft werden wir mit moderaten Schritten an die Leute herantreten“, verspricht er. Das Mieterforum will am Sonntag über den Vorschlag beraten.

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