: berliner szenen Nacht im Habermeyer
Platzhirsch verärgern
Im Habermeyer muss schnelle Musik laufen. Im Habermeyer muss Rock’n’Roll gespielt werden, sagt der Platzhirsch. Aber wir haben keinen Rock’n’Roll dabei, wir spielen Balladen. Der Platzhirsch fängt das Trinken an. Die anderen in dieser Krebsbude (ich rauche selbst) verhalten sich, wie sich Leute in Bars verhalten: Sie sitzen und quatschen, strecken die Glieder von sich. Die Frauen haben Handtaschen dabei, die Männer tragen manchmal Skimützen und immer diesen Berliner Tagebart. Alle sind dunkel und muffig gekleidet. Ich sollte es mit einer bunten Phase versuchen, überlege ich, während die Beach Boys laufen und der Platzhirsch nach seinem Rucksack fragt. Vielleicht bin ich dazu aber auch zu alt. Vielleicht ist aber auch gerade der Gedanke, dass man für irgendetwas zu alt ist, der, der einen tatsächlich alt macht.
Die Freundin des Platzhirschen wirft mir einen fragenden Blick zu, den ich mit einem Lächeln beantworte, woraufhin sie ironisch zurücklächelt. Die Ironie verstehe ich nicht. Der Platzhirsch fragt zum zweiten Mal nach seinem Rucksack. Er wurde ihm längst ausgehändigt. Vielleicht hätte ich nicht die Beach Boys spielen sollen, überlege ich, als der Platzhirsch die nächsten Termine mit uns absagt. Es sei langweilig gewesen, findet er am Ende des Abends, er habe jedes Stück gekannt. Was natürlich eine Lüge ist (wir haben Sachen gespielt, die wir selbst noch nicht kannten). Aber egal. Es gibt Leute, die auf langsame Musik allergisch reagieren. Erstaunlich, aber wahr. Im Habermeyer legen wir nicht mehr auf.
Vorher betrat eine Straßenzeitungsverkäuferin den Laden und fand einen Geldschein auf dem Fußboden. Eine schöne Pointe. Vielleicht ist er ja aus dem Rucksack gefallen. RENÉ HAMANN