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Archiv-Artikel

Die wachsende Macht der lateinamerikanischen Einwanderer

Der Süden der USA wählt Republikaner und entscheidet die Wahl, so glaubte man. Doch nun holt der Südwesten auf: Dort gibt es immer mehr Latinos. Sie wählen Demokraten

WASHINGTON taz ■ Eine amerikanische Stammtischweisheit besagt, Präsidentschaftswahlen werden im Süden gewonnen. Die Anhänger dieser These führen zum Beweis stets die letzten drei demokratischen Präsidenten an: Lyndon Johnson aus Texas, Jimmy Carter aus Georgia und Bill Clinton aus Arkansas.

Clinton verdankt seinen zweimaligen Einzug ins Weiße Haus nicht zuletzt den Wahlsiegen in wichtigen Südstaaten. Al Gore verlor im November 2000 den ganzen Süden, selbst seine Heimat Tennessee. Auch in diesem Wahljahr verkünden vor allem die Wahlstrategen von John Edwards, dem Senator aus North Carolina, und Wesley Clark, Exgeneral aus Arkansas, dass nur ein Erfolg im Süden die Präsidentschaft sichert, und bemühen erneut die Geschichte.

Doch sind die Südstaaten wirklich so entscheidend, und was macht sie im Hinblick auf das Wahlverhalten so besonders? Die Region der ehemaligen Konföderation jener Staaten, die die Sklaverei beibehalten wollten und im Jahre 1861 den Bürgerkrieg auslösten, ist das Armenhaus der USA. Rund 30 Prozent der Bevölkerung sind schwarz, die Weißen gelten als streng konservativ und religiös. Die Schwarzen, obgleich felsenfest demokratisch, gehen kaum zu den Wahlurnen. Der Rest wählt seit Jahrzehnten den Republikanern.

Der Kampf um den Süden sei daher vergebliche Liebesmüh, warnen immer öfter US-Parteienforscher. „Die Demokraten können nicht gewinnen“, sagt Thomas Schaller, Politologe der University of Maryland. „Und daher sollten sie aufhören, es zu versuchen. Es ist ein aussichtsloses und kontraproduktives Unterfangen.“ Die Region verfüge längst nicht mehr über so genannte Swing States, in denen keine Partei dauerhaft die Oberhand gewinnt, sondern sei den Republikanern auf absehbare Zeit nicht zu entreißen.

Selbst Parteistrategen der Demokraten wie Donna Brazile, die den Wahlkampf von Gore leitete, oder Joe Trippi, jüngst gefeuerter Chef des Howard-Dean-Teams, glauben, dass ein Wahlsieg auch ohne den Süden zu schaffen sei.

Schließlich erhielten Grünen-Kandidat Ralph Nader und Gore zusammen damals drei Millionen Stimmen mehr als George W. Bush. Sollte es diesmal keinen zugkräftigen grünen Gegenkandidaten geben, muss Bush diese Lücke erst mal schließen. Zudem hätte Gore die Wahl zu seinen Gunsten entscheiden können, wenn er in nur zwei typischen Wechselwählerstaaten wie Missouri und Ohio gewonnen hätte. Daher sollten die Bush-Herausforderer ihre Energien lieber auf Staaten konzentrieren, in denen sie eine realistische Chance haben würden, rät Brazile.

Nach der neuen „Wahlgeografie“ kommt dem Südwesten wachsende Bedeutung zu. Hier, in den Staaten Arizona, New Mexico, Utah und Nevada, leben die meisten Latinos, die mittlerweile die größte Minderheitengruppe in den USA sind. Die Einwanderer aus Lateinamerika wählen traditionell Demokraten. Verschiedene Studien belegen überdies, dass die Republikaner unter Latinos weiter an Boden verlieren. Präsident Bush buhlt daher hartnäckig um ihre Gunst, zuletzt mit einer ambitionierten Initiative, die illegalen Immigranten vornehmlich aus Mexiko eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis gewährt.

Die Zukunft der US-Präsidentschaftswahlen liege in einer erfolgreichen Südweststrategie, sagt Schaller. Die Demokraten könnten das Weiße Haus erobern, ohne einen Staat südlich von Maryland und östlich des Mississippi zu gewinnen. So wie Anfang des 20. Jahrhunderts, als der Süden noch eine Hochburg der Demokraten war und republikanische Kandidaten wie Teddy Roosevelt gewannen, indem sie den Süden ignorierten.

Wenn es den Demokraten also gelingt, dieses Jahr all jene Staaten zu halten, die Al Gore 2000 gewann, und sie noch einen Staat, zum Beispiel Arizona, hinzugewinnen, wären Bushs Tage gezählt. MICHAEL STRECK