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Archiv-Artikel

„Man muss sich trauen, hart zu sein“

Der Name Gernot Piestert steht für ein Stück Polizeigeschichte. Schon weil es keinen Nachfolger für den Leiter der Schutzpolizei gibt. Seit 43 Jahren ist er im Dienst, 15 Jahre lang hat er den 1. Mai in Kreuzberg miterlebt. Morgen geht er in Ruhestand

von SABINE AM ORDE und PLUTONIA PLARRE

taz: Herr Piestert, morgen werden Sie die Uniform für immer an den Nagel hängen. Fällt Ihnen der Abschied von der Polizei schwer?

Gernot Piestert: 43 Jahre in dem Job sind eine unglaublich lange Zeit, dazu noch zehn Jahre auf diesem Stuhl des Leiters der Schutzpolizei. Ich freue mich unbändig auf den Ruhestand. Jetzt sollen andere mal gestalten.

Zehn Jahre auf dem Stuhl heißt: oberster Vorgesetzer von 19.000 Polizisten, Leiter sämtlicher Großeinsätze in der Stadt. Wie kommt man mit so einer Verantwortung klar?

Man muss sich trauen, hart zu sein. Auch intern. Menschen ins Gesicht zu sagen, dass sie einen Fehler gemacht haben, den Anforderungen nicht genügen, dass ihre Karriere zu Ende ist oder ein Alkoholproblem haben. Das fordert emotional viel mehr als eine Einsatzleitung. Aber man muss die Dinge auch abstreifen können. Wenn man jedes Mal mitleidet, geht man kaputt.

Was war Ihre größte Herausforderung als Schupo-Chef?

Herausragend ist immer der 1. Mai. Das ist seit 1987 so. Insbesondere die rituelle politische Aufarbeitung hat mich als Polizeiführer sehr beschäftigt. In den 90er-Jahren gab es ja auch Tage, die gar nicht so schlimm waren. Aber die Ereignisse wurden hinterher trotzdem aufgebauscht. Je nachdem, wer die politische Verantwortung hat, stellt sich hinter die Polizei oder haut auf sie drauf. Das sind Rituale, es wird nicht differenziert. Dann gibt es die großen Staatsbesuche: Clinton, Bush, Chatami. Emotional sehr bewegt hat mich auch der Sturm auf das israelische Generalkonsulat …

bei der versuchten Besetzung am 17. Februar 1998 wurden vier Kurden von israelischen Sicherheitskräften erschossen.

Das ist am hellichten Tag passiert. Ich glaubte, das israelische Generalkonsulat sei eine uneinnehmbare Festung. Ich habe nicht geahnt, dass die die Tür aufmachen und schießen.

Hat sich die Polizei in der Sache etwas vorzuwerfen?

Mit 200 oder 300 Polizisten davor hätten wir das Drama vielleicht verhindern können. Aber was der Untersuchungsausschuss zutage zu fördern glaubte, kann ich überhaupt nicht akzeptieren.

Was meinen Sie damit?

Wir sind zum Beispiel gescholten worden, dass wir damals, am Tag nach der Festnahme von Abdullah Öcalan, die SPD-Zentrale geschützt haben, statt die Einheiten vor das israelische Generalkonsulat zu stellen. Der Hintergrund war, dass die SPD-Zentrale in Hamburg besetzt worden war. Hätten wir das Willy-Brandt-Haus nicht geschützt und dafür die Truppe vor dem Generalkonsulat gehabt, und bei der SPD wäre etwas passiert, weiß ich nicht, was dann los gewesen wäre.

Haben Sie es jemals bereut, Polizist geworden zu sein?

Ich hatte auch andere berufliche Träume. Mal wollte ich Lehrer werden, mal Theologie studieren. Ein Handwerk hätte ich nie gelernt. Lieber wollte ich mich intellektuell beschäftigen.

Warum haben Sie dann mit 17 Jahren die Schule geschmissen und sind zur Polizei?

Schulmüdigkeit, Freunde, die schon in der Lehre waren und Geld verdienten, wenn es auch nicht viel war. Ich war damals schon mit meiner heutigen Frau befreundet. Die war Lehrling und ich nur ein kleiner Schüler.

Die Hälfte Ihrer Verwandtschaft war bei der Polizei.

Ein Onkel, zwei Cousins, mein Schwager, und mein Bruder war beim Bundesgrenzschutz. Es war auch ein bisschen Abenteuerromantik dabei, aber eigentlich war mir klar: Das wird kein Zuckerschlecken.

Wieso?

Als ich 1960 angefangen habe, war die Polizei noch paramilitärisch ausgerichtet: Granatwerfer, schwere Maschinengewehre. Wir haben Schützenlöcher gebuddelt und Zeltlagerübungen gemacht. Die Bedrohung kam aus dem Osten von den Roten. Das Chruschtschow-Ultimatum von 1958 war noch sehr lebendig.

Das Ultimatum besagte: Abzug aller Truppen, binnen 6 Monaten Bildung einer „Freien Stadt Westberlin“, andernfalls Übergabe der Zufahrtskontrollen an die DDR.

Ich bin mit dem Bewusstsein zur Polizei, dass ich unter Umständen in eine bewaffnete Auseinandersetzung geraten werde und dafür auch mit meinem Leben einstehen muss. Wenig später wurde dann die Mauer gebaut.

Waren Sie an der Grenze postiert?

Vom ersten Tage an. Bei Wind und Wetter habe ich mir die Beine in den Bauch gestanden an dieser Grenze. Was ich da alles gesehen habe: dieses entsetzliche Leid, das Auseinanderreißen von Familien, die Fluchtversuche, die Verletzten, die Toten an der Mauer. Und ich hatte auch Angst. Wenn Sie unten in der Friedrichstraße in der U-Bahn postiert waren, am weißen Strich, da hatten Sie 20 Meter entfernt eine Alarmklingel, und Sie standen alleine. Und die andere Seite kam immer zu dritt oder zu viert. Das habe ich über die Jahre miterlebt. Aus dem Grund habe ich ein gewaltiges Problem damit, dass die PDS in Berlin mitregiert. Ich hätte deshalb im vorigen Jahr fast meinen Job hingeschmissen.

Das müssen Sie uns erklären.

Natürlich hat Frau Pau keinen an der Mauer erschossen. Aber die PDS an sich tut sich unerhört schwer, sich von dem Unrechtsregime der DDR zu distanzieren.

47,6 Prozent der Menschen in Ostberlin haben PDS gewählt. Wollen Sie die alle über einen Kamm scheren?

Natürlich nicht. Ich mag die Ostberliner. Nach der Wende habe ich im Ostteil die Direktion 6 mit aufgebaut. Es hat mir Spaß gemacht. Aber ich habe auch die Ex-Mfs-Leute gesehen, die rund um die Ruschestraße wohnen. Wir, die Westberliner Polizei, sind als Besatzer beschimpft worden. Wir haben keinen Zugang zu diesen Menschen bekommen, auch wenn wir ganz vorurteilsfrei dahin gegangen sind. Diese Klientel und dieses Gedankengut ist in der PDS noch weit verbreitet.

Mit der Übernahme der Vopos in die Westberliner Polizei hatten Sie kein Problem?

Wir haben das lange diskutiert. Eine ganze Menge, vom Oberst aufwärts, schied sowieso aus. Mir hat die breite Masse der Vopos Leid getan. Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie es ist, wenn einem von einem Tag auf den anderen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Und ich habe es nie bereut. Meine langjährige Vorzimmerdame ist von der Volkspolizei.

Was war für Sie noch wichtig in all den Jahren?

Die 68er. Der Umbruch im Bewusstsein der Berliner Polizei. Weg von dieser paramilitärischen Ost-West-Konfrontation: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Das war natürlich ein Prozess, zuerst gab es massive innere Widerstände. Die Polizei wurde bei den Studentenauseinandersetzungen ja auch eingesetzt.

Haben Sie auch auf die Studenten eingeprügelt?

Ich hatte Glück. Ich habe den Schlagstock zwar oft in der Hand gehabt, aber in meinem ganzen Leben kein einziges Mal zuschlagen müssen.

Am 2. Juni 1967 vor der Deutschen Oper gehörten Sie zu einer Reserveeinheit, die nicht zum Einsatz kam. Was haben Sie empfunden, als Sie gehört haben, ein Student ist erschossen worden?

Wut auf die, die die Rebellion machen und Unruhe in die Stadt tragen. Das habe ich damals so gesehen. Ich hatte auch Angst. Da war ja Gewalt im Spiel.

Haben Ihre Kollegen auch so gedacht?

Ich war damals schon in der Ausbildung für den gehobenen Dienst. In dem Lehrgang gab es ein paar Kollegen, die wesentlich kritischer waren als die große Masse, zu der ich gehörte. Die haben gesagt, die Amis liefern Wellblechdächer nach Vietnam, damit sie aus den Bombern das Blinken sehen und besser treffen können, und nicht, um die Leute vor dem Regen zu schützen. Wir haben die für linke, fehlgeleitete Spinner gehalten. Sehr viel später habe ich erfahren, dass die in vielen Dingen Recht hatten.

Und damals?

Ich war Mitte zwanzig, Familienvater und hatte andere Probleme. Ich war verunsichert. Aber dann kamen solche Menschen wie Klaus Hübner …

der 1968 Polizeipräsident wurde.

Er hat mir wieder Halt gegeben. Er hat die Strukturen verändert, die Polizei zu einem demokratischen Bestandteil der Gesellschaft gemacht.

wo aber bis heute Befehl und Gehorsam dominieren.

Das muss so sein. Wenn Steine fliegen, kann man im Einsatz nicht diskutieren.

Woran hapert es in der Polizei am meisten?

Manchmal schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen, wie schlecht die Allgemeinbildung ist; dass sich Polizeiführer den eigenen Mitarbeitern nicht stellen. Um es mal überspitzt zu sagen: Dienststellenleiter schleichen sich durch die Hintertür in ihr Büro, schließen sich ein, schleichen abends wieder heraus und hoffen, nur keinem zu begegnen.

Haben Sie dagegen etwas unternommen?

Ich habe angeordnet, dass Führungskräfte zehn Prozent ihrer Arbeitszeit außerhalb des Bürodienstes im persönlichen Gespräch mit ihren Mitarbeitern verbringen sollen. Was den Bildungsstand angeht, habe ich vor Jahren zusammen mit Hochschullehrern ein Konzept entwickelt. Das Papier liegt bis heute unbeachtet in der Schublade.

Ist das nicht frustrierend?

Bisweilen schon. Aber ich bin ein weisungsgebundener Beamter.

Herr Piestert, sind Sie nicht der dritte Mann in der Polizeihierarchie.

Im Einsatz bin ich der Herrscher aller Reußen, aber sonst ist meine Entscheidungskompetenz relativ gering. Dazu kommt die katastrophale Haushaltslage. Da muss man ganz kleine Brötchen backen.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum nur wenige Polizisten wagen, ihre Vorgesetzten zu kritisieren?

Ich will nicht ausschließen, dass Vorgesetzte, über die man sich beschwert, versuchen, sich zu rächen, die Kritiker klein zu machen. Aber wie soll man diesen Machtmissbrauch verhindern, wenn er im Verborgenen bleibt?

Was haben Sie getan, wenn Sie von solchen Machenschaften erfahren haben?

Ich bin bekannt dafür, dass ich Polizeiführer rigoros von ihren Funktionen ablöse. Ich habe immer dafür gestanden: Wer nicht in der Lage ist, seine Führungsverantwortung wahrzunehmen, hat seine Chance verwirkt. I

Sie selbst können Kritik auch nicht gut ab. Den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, der die Behörde in einem Artikel „eine Ansammlung von Duckmäusern“ genannt hat, haben Sie lange geschnitten.

Das war eine unverschämte Anmaßung, die nicht belegt werden kann. Das war diffamierend und beleidigend.

Wenn Sie in den Ruhestand gehen, wird Ihr Posten aufgrund einer Strukturreform abgeschafft. In Zukunft hat der Polizeipräsident alle Fäden in der Hand. Ist Dieter Glietsch für die Berliner Polizei der richtige Mann?

In der ersten Phase hatte ich das Empfinden, das ist ein Staatskommissar. Ich sag’s mal drastisch: Vollstrecker des politischen Willens. Aber inzwischen wächst wechselseitig das Vertrauen. Herr Glietsch identifiziert sich mit der Berliner Polizei, also doch nicht Staatskommissar, sondern Behördenleiter mit Selbstbewusstsein gegenüber der Politik.

Was haben Sie selbst jetzt vor?

Lesen, Reisen, Ausstellungen, klassische Musik und Theater. Wiederbelebung des Freundeskreises. Meine Frau und ich haben unglaublich viel nachzuholen. Die Beziehung hat natürlich unter der Last der Funktion gelitten.

Zum Schluss interessiert uns noch eins: Die letzten zehn Jahre haben Sie am 1. Mai immer den Großeinsatz geleitet. Was werden Sie diesmal tun?

Ich werde in Bad Malente sein. Da gibt es eine Zusammenkunft von Kollegen, die auch schon im Ruhestand sind. Da werde ich aus der Distanz nach Berlin schauen, den Einsatzleiter anrufen und ihm alles Gute für den Tag wünschen.