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Archiv-Artikel

Letzte Lichter für mehr Arbeit

In Gelsenkirchen bildeten rund tausend Menschen eine Kette gegen den Wegzug der heimischen Firmen Vaillant und TRW. Auch MP Steinbrück und OB Wittke wollten Händchen halten

„Bringt doch alles nix“, winkt ein alter Bergmann ab. „Aber ich wünsche mir, dass ich mich irre“

VON MANFRED WIECZOREK

Kurz nach 17.00 Uhr am Montagabend atmete der Bevollmächtigte der IG Metall Alfred Schleu einmal kräftig durch. Es war geschafft. Die Menschenkette aus Solidarität mit den Belegschaften von Vaillant, TRW Automotive, Pilkington und Rexam quer durch die Gelsenkirchener Innenstadt – sie stand. Bei den Unternehmen stehen fast 1.000 Arbeitsplätze auf der Kippe. Gewerkschaften, Kirchen und alle Parteien hatten zu der Aktion aufgerufen.

Stadt der tausend Feuer wurde Gelsenkirchen einst genannt –doch mehr und mehr Lichter drohen zu erlöschen. Wenn am Donnerstag die neuesten Arbeitsmarktzahlen verkündet werden, dann wird die Ruhrgebietsstadt mit rund 17 Prozent Arbeitslosigkeit im Westen Deutschlands wieder an der Spitze liegen.

Dennoch wird der Automobilzulieferer TRW fast die Hälfte seiner Arbeitsplätze nach Tschechien verlagern. Dorthin zieht es laut Betriebsrat mittelfristig auch den Heizgeräte-Hersteller Vaillant, obwohl das Werk tiefschwarze Zahlen schreibe. Ernst Majewski, Betriebsrat bei dem Glashersteller Pilkington, hat erfahren, dass parallel zur Stilllegung der Produktionsbereiche in Gelsenkirchen diese in Russland, Polen und Schweden wieder aufgebaut würden. Nur bei Rexam liegen die Dinge anders. Hier sei es die chaotische Einführung des Dosenpfands, die nach 26 Jahren das Aus für die Dosenfertigung bringen könne, meint der Betriebsrat.

Entwicklungen, die auch Buchhändler Thomas Winkelmann aus seinem Laden trieben. „Schauen Sie sich doch mal die Innenstadt an. Leerstände und ein Billigladen neben dem anderen“, sagte er. Die es sich leisten können, würden längst zum Einkaufen ins Centro nach Oberhausen oder in die Nachbarstadt Essen fahren. „Aber die werden sich auch noch wundern, wenn das hier so weitergeht.“

Wie es weitergehen kann, das stand in großen Lettern auf einem Transparent: „Heute wir!? Morgen ihr!?“ Deshalb blieb auch die angehende Erzieherin Silvia Garbe nicht zu Hause. „Die ganze Stadt muss sich wehren, damit die Unternehmer wissen, dass wir so was nicht mit uns machen lassen“, sagte sie. Ermutigt wurde sie durch ihr Engagement für einen Volksentscheid gegen Kürzungen im Jugendbereich. „Da hatte doch niemand geglaubt, dass wir die nötigen 66.000 Unterschriften bekommen. Aber wir haben es geschafft“, macht sie sich Hoffnung. Die hatte ein alter Bergmann, abseits der Kette stehend, längst aufgegeben. „Bringt doch alles nix“, winkte er ab. „Aber ich wünsche mir, dass ich mich irre“, fügte er leise hinzu.

Auf der anschließenden Kundgebung vor über 2000 Menschen waren die Töne deutlich lauter. „Hier werden Menschen auf die Straße gesetzt, wie ein räudiger Hund, um an anderer Stelle noch ein paar Euro mehr zu machen“, attackierte Oberbürgermeister Oliver Wittke (CDU) die Verlagerungspläne. Parteigrenzen will Wittke auf dem Platz nicht mehr sehen. „Eine ganze Stadt ist aufgestanden“, sagt er. „So kann und darf es in dieser Region, in diesem Land nicht weitergehen.“ Er prophezeite eine schlimme Entwicklung, wenn gut verdienende Unternehmen mit Verweis auf die niedrigen Löhne in Osteuropa das Land verließen. „Wenn das um sich greift, dann gibt es kaum noch einen sicheren Produktionsstandort in Deutschland.“

Eher verhalten blieb der Applaus für den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Peer Steinbrück (SPD). Vielleicht, weil er davor warnte, die Möglichkeiten der Politik zu überschätzen: „Ich will hier nichts versprechen, was hinterher nicht zu halten ist“, sagte der Landes-Chef. Wirtschaftsminister Harald Schartau führe Gespräche mit den Vaillant-Gesellschaftern und lote alle Möglichkeiten aus. Wer, wie Vaillant, öffentliche Technologiefördermittel erhalten habe, stehe auch in der Pflicht und die mahne er nun an, so Steinbrück. Ein wenig Hoffnung machte der Ministerpräsident dann doch noch. „Am Beispiel des Maschinenbauers Babcock in Oberhausen haben wir gezeigt, dass Politik was bewegen kann.“

Dass sich bei TRW noch was bewegt, wagte Betriebsrat Bernd Otto kaum zu hoffen. „Dabei ist der Arbeitsplatzverlust für viele von uns fast wie ein Todesurteil, der Gang zum Sozialamt wohl unausweichlich.“ Gerade einmal 1.200 freie Arbeitsplätze gäbe es im Arbeitsamtbezirk, aber 33.000 Arbeitslose. „Ein bisschen Frankreich würde uns allen weiterhelfen“ sagt Otto und machte aus seiner Sympathie für die deutlich rauere Gangart und die ausdauernden Streiks im Nachbarland keinen Hehl.

An französische Verhältnisse wird Oberbürgermeister Wittke nicht gedacht haben, aber er kündigte trotzdem an: „Das ist nicht die letzte Aktion gewesen, wenn die Unternehmer nicht zur Vernunft kommen.“