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Archiv-Artikel

Total geschützte Rechtsgüter

Am 1. April tritt das neue Jugendschutzgesetz in Kraft: Bund und Länder stritten drei Jahre lang verbissen um ihre Kompetenz, mit Gesetzen und Staatsverträgen den Austausch von Daten in den Onlinemedien zu beschränken. Das Ergebnis ist ein Kompromiss zu Lasten der Informationsfreiheit

von DIETMAR KAMMERER

Klare Kompetenzverteilungen, und eine längst überfällige Anpassung an das Informationszeitalter versprechen die Befürworter – schwammige Begrifflichkeit, Intransparenz und überstürzte, mit heißer Nadel gestrickte Verordnungswut monieren die Kritiker: Seit Ende 2000 ist um das neue Jugendschutzgesetz gerungen worden, das komenden Montag in Kraft tritt.

Was wird sich ändern? Aus zwei mach eins: Das neue Jugendschutzgesetz (JSchG) löst die zwei bisher relevanten Bestimmungen, das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) und das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjS), ab.

Aus drei mach zwei: Statt der in der konkreten Anwendung unpraktikablen Aufteilung in „Schriften“, „Mediendienste“ und „Teledienste“ soll nun klarer nur noch zwischen „Trägermedien“ (Büchern, CDs, Kassetten oder DVDs) sowie „Telemedien“, also Onlineangeboten, unterschieden werden.

Unverkennbar der Kompromiss im ewig währenden Kompenzstreit zwischen Bund und Ländern: Der Bund beruft sich auf seine Zuständigkeit für Wirtschaft und Justiz, ihm sollen daher die „Trägermedien“ unterstehen. Die Länder pochen auf ihre Kulturhoheit und haben durchgesetzt, dass für die „Telemedien“ nach Paragraf 16 JSchG Landesrecht zuständig ist, sodass die zentrale Aufsichtsstelle der Länder, die neu gegründete Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), in diesem Bereich das Sagen hat.

Nach wie vor aber bleibt auch die bisherige „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ im Amt, sie ist nur in „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BPjM) umbenannt und mit erweiterten Kompetenzen ausgestattet worden: Durfte die BPjS erst auf Antrag der Jugendämter oder des Familienministeriums aktiv werden, kann sie als BPjM autonom einschreiten. „Schwer jugendgefährdende Trägermedien“, also etwa Computerspiele, die Gewalt oder Krieg verherrlichen oder bagatellisieren, werden auch ohne Indizierung durch die Bundesprüfstelle mit weitreichenden Abgabe-, Vertriebs- und Werbeverboten belegt. Und alle Computerspiele müssen eine Altersklassifizierung enthalten.

Freiwillige Zensur

Hand in Hand mit dem Jugendschutzgesetz geht auf Länderseite der „Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien“ oder kürzer: Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Dessen Zweck ist „der einheitliche Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die ihre Entwicklung oder Erziehung beeinträchtigen oder gefährden, sowie der Schutz vor solchen Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die die Menschenwürde oder sonstige durch das Strafgesetzbuch geschützte Rechtsgüter verletzen“.

Im Staatsvertrag wird das prekäre Verhältnis von obrigkeitlicher Medienaufsicht und freiwilliger Selbstkontrolle im Jugendschutz besonders deutlich. So verpflichtet der JMStV Anbieter von „Telemedien“, Jugendschutzbeauftragte zu bestellen oder sich einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle anzuschließen.

Diese Einrichtungen müssen allerdings zuvor von der KJM anerkannt werden – ein Streitpunkt, der bereits die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia (FSM) auf die Barrikaden brachte. Arthur Waldenberger, Vorstandsvorsitzender der FSM, erklärte bereits kategorisch: „Wir werden auf keinen Fall einen Antrag auf Anerkennung von oben stellen.“ Eine hoheitliche Zertifizierung von Einrichtungen der eigentlich „freiwilligen“ Selbstkontrolle sei ein Widerspruch in sich, findet der FSM, der sich den Auflagen nicht beugen möchte und eine Inspizierung seiner Arbeit, die Vorabkontrolle von Inhalten durch ihre Anbieter, durch staatliche Stellen ablehnt.

Weiteren Konfliktstoff birgt die Anweisung an die gewerbsmäßigen Anbieter oder Verbreiter von „Telemedien“, „Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen“, für ein als geeignet anerkanntes Jugendschutzprogramm zu programmieren oder es ihnen vorzuschalten (§ 11 JMStV). Solche Filterprogramme, wie etwa das von der Bertelsmann-Stiftung mitentwickelte Self-Rating-Verfahren ICRA, werden nun offiziell als „Angebot an die Veranstalter“ verstanden, ihrer Pflicht im Bereich Jugendschutz nachzukommen: Daher bedürfen sie ebenfalls der Lizenzierung durch die KJM.

Nicht erst seit den Aktivitäten des Düsseldorfer Regierungspräsidenten Büssow wehren sich die Zugangsprovider mit allen Mitteln dagegen, netzseitige Generalfilter installieren zu müssen, die von den Kritikern als Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit angesehen werden. Der Staatsvertrag nimmt sie noch weiter in die Pflicht. Er fasst so unterschiedliche Geschäfte wie das Web-Hosting und den reinen Netzzugang unter dem einen Begriff der „Telemedien“ zusammen. Der Branchenverband Bitkom hätte sich „eine deutlichere Differenzierung bei den Anbietertypen“ gewünscht, und der Verband der deutschen Internetwirtschaft, „eco Forum“, moniert: „Die Verantwortung für Inhalte kann nicht bei den Access-Providern liegen.“

Verfallsdatum

Die Schwierigkeiten, Jugendschutz, Meinungs- und Gewerbefreiheit im Internetzeitalter unter globalisierten Bedingungen unter einen Hut zu bringen, ähneln denen anderer aktueller Gesetzgebungsvorhaben, etwa im Urheberrecht. Was für die einen „Schwammigkeit“ in den Begriffsdefinitionen ist, also Rechtsunsicherheit mit sich bringt, ist für die anderen notwendige Flexibilität, um auf unvorhersehbare technische Entwicklungen reagieren zu können. Deshalb hat das Jugendschutzgesetz ein eingebautes Verfallsdatum: In 5 Jahren soll erneut evaluiert werden, was die neu geschaffenen Vorschriften, Institutionen und Rechtsmittel tatsächlich wirksam zum Jugendschutz beigetragen haben.

dietmar.kammerer@web.de