Der General sagt den Krieg ab

Hilmi Özkök ist Chef der mächtigen türkischen Militärs. Gestern kündigte er an, vorerst keine weiteren Soldaten in den Irak zu schicken

General Özkök gibt sich erbost über das Misstrauen gegen die türkische Armee

von JÜRGEN GOTTSCHLICH

Der kleine Mann mit der Halbglatze und den buschigen Augenbrauen macht trotz der Uniform keinen besonders martialischen Eindruck. Etwas steif, aber unmissverständlich liest er seine Botschaft vom Blatt ab. Er sagt: „Das ist nicht unser Krieg.“

Als Hilmi Özkök, Generalstabschef der türkischen Armee, gestern in Diyarbakir ans Rednerpult trat, wusste er, dass nun alle Welt Klarheit darüber erwarten würde, wie die zweitgrößte Nato-Armee sich gegenüber dem Krieg in ihrem Nachbarland verhalten wird. Seine Botschaft ist unmissverständlich: Die Türkei will mit dem Krieg nichts zu tun haben, aber die Armee ist dazu da, das Land vor allen denkbaren Gefahren zu schützen.

Özkök war mit dem gesamten Generalstab ins türkisch-irakische Grenzgebiet gereist, um dort die Truppen zu inspizieren. Seit Tagen wird darüber spekuliert, ob und wann türkische Soldaten die Grenze zum irakischen Kurdistan auf breiter Front überschreiten. Wird Özkök nun den Startschuss geben, lautete folglich die Frage? Er gibt ihn nicht. „Solange sich keine neuen Gefahren ergeben, werden wir unsere Präsenz im Nordirak nicht erhöhen“, sagt er an die Adresse der USA und auch der EU. „Sollten wir zur Abwehr kommender Gefahren, wie große Flüchtlingsbewegungen oder direkte Angriffe auf unsere Grenzen, die jetzige Entscheidung neu überdenken, werden wir dies nur in Abstimmung mit der kriegsführenden Partei USA tun.“

Özkök scheint ehrlich erbost, dass ihm und seinen Kollegen unterstellt worden ist, die türkische Armee würde im Irak Krieg auf eigene Rechnung führen wollen. Die Armee, so sagt er, hat keine geheime Agenda. Dann erklärt er in Richtung USA, dass es merkwürdig sei, dass eine Nation, die durch Meere geschützt ist und sich trotzdem bedroht fühlt, das Gefühl der Unsicherheit in einem Land nicht versteht, an dessen Grenze Krieg geführt wird. Er hoffe, dass diejenigen, die jetzt der türkischen Armee unlautere Absichten unterstellen, nicht demnächst gerade diese Armee um Hilfe rufen werden.

Der Auftritt in Diyarbakir ist Hilmi Özköks erste große Pressekonferenz. Er ist kein Mann, der sich in die Öffentlichkeit drängt. Anders als mancher seiner Vorgänger hat Özkök sich mit politischen Statements bislang völlig zurückgehalten. Trotz der permanenten Ausnahmesituation, in der sich die Türkei praktisch seit dem Herbst des letzten Jahres befindet, hat das Land deshalb über seinen neuen Generalstabschef bisher relativ wenig erfahren. Der 62-jährige Özkök wurde erst im letzten August turnusgemäß für vier Jahre zum Generalstabschef ernannt. Obwohl in der damaligen Ecevit-Regierung kurz darüber diskutiert worden war, angesichts der bevorstehenden Probleme den amtierenden Generalstabschef Kivrikoglu erst einmal weiter im Amt zu belassen, kam der Wechsel dann doch – das Militär wollte Normalität demonstrieren.

Mit Özkök kam ein Mann an die Spitze, der völlig im Dienst der Institution steht. Bereits als Kind ging er auf die Kadettenschule und hat seitdem sein Leben in der Armee und für sie verbracht. Seine gesamte Laufbahn spricht dafür, dass er ein Kemalist alter Schule ist, einer, der die Rolle des Militärs darin sieht, das Staatsverständnis des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk zu pflegen. Der Junge aus einer armen Familie, geboren und aufgewachsen in einem Dorf an der Ägäisküste, verdankt der Armee alles: Ausbildung, Aufstieg und gesellschaftliche Stellung. Diese Karriere ist hart, aber sie ist offen für alle Bevölkerungsschichten und war deshalb die einzige Chance, die jemand wie Hilal Özkök hatte. Mit 17 Jahren beendete er die Kadettenschule, zwei Jahre später schloss er die Militärakademie ab. Seitdem dient er im Heer. Nach einer Offizierslaufbahn in der Infantrie kam er 1975 ans Nato Defense College. Seitdem wechselte er immer wieder zwischen Truppen-Kommandos und Jobs in der Militärbürokratie in Ankara und bei der Nato.

Özkök kennt deshalb sowohl die Nato-Strukturen wie auch das Binnenverhältnis zwischen Armeeführung und Politik seit langem. Seit seiner Ernennung zum Chef des Heeres im Sommer 2000 saß er mit im Nationalen Sicherheitsrat, jenem Gremium, das traditionell die „Staatspolitik“ definiert. Nach dem Selbstverständnis der Armee hat die Staatspolitik sich in der Tradition von Mustafa Kemal Atatürk zu bewegen und unterliegt nicht nur der Entscheidung der jeweiligen Regierung. Das ist vordemokratisch gedacht, spiegelt aber gleichzeitig auch die oft traurige Realität der türkischen Parteipolitik. Jahrzehntelang wurden in ständig wechselnden Koalitionen Regierungen gebildet, die oft mit dem Votum der Wähler wenig gemein hatten. Und wo die Politik Chaos und Korruption produzierte, bildete die Armee seit Republikgründung die einzig stabile Institution des Landes.

Deshalb ist die Armee, obwohl sie in den letzten 40 Jahren dreimal putschte, im Bewusstsein der Bevölkerung als Ordnungsfaktor und Auffanglinie für alle Fälle positiv besetzt. Keine andere Institution oder Berufsgruppe wird in Umfragen so gelobt wie die Armee. Denn auch nach einem Putsch haben die Generäle sich an ihre Regeln gehalten und die Macht nach einer Übergangszeit wieder an Zivilisten übergeben.

Die oft beschriebene Allmacht der türkischen Armee ist deshalb auch Ausdruck der Schwäche des politischen Establishments. Als der damalige Ministerpräsident Özal in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre das Heft fest in der Hand hatte, musste auch das Militär das Primat der Politik akzeptieren. Gegen den Willen der Armeeführung unterstützte Özal im letzten Golfkrieg Bush Senior und scheute auch nicht zurück, den Generalstabschef zu entlassen, als dieser ihm widersprach. Wie heute wollte sich die Armee auch damals lieber heraushalten, getreu einer Maxime Atatürks, sich in auswärtige Händel nicht einzumischen.

Anders als 1991 sein Vorgänger, ist Özkök sich heute mit der politischen Führung weitgehend einig, die Türkei aus dem Irakkrieg so weit wie möglich herauszuhalten. Das Ziel der Generäle ist, auf jeden Fall zu verhindern, dass der Bürgerkrieg mit einem Teil der Kurden in der Türkei wieder aufflackert. Ob Özkök deshalb das Risiko eingehen würde, gewaltsam die Entstehung eines Kurdenstaates im Nordirak zu verhindern, ist offen. Es scheint aber, dass sich die Armee in Absprache mit der Regierung entschieden hat, nicht präventiv einzugreifen, sondern allenfalls in Reaktion auf eine bedrohliche Entwicklung.