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Archiv-Artikel

Bloß nicht länger als vier Tage feiern

Opulent: Die Hamburger Kunsthalle präsentiert die Schau „Vergnügliches Leben – Verborgene Lust“ mit holländischer Genremalerei des 17. Jahrhunderts

Mit höchster Sorgfalt ausgeführte spätmanieristische Feinheiten als Augenschmaus en détailGedeckter Tisch mit Schalen voller Plastikfrüchte als pseudo-didaktisches Element

von HAJO SCHIFF

Der Hamburger Kunsthalle fehlte immer ein eigener Bereich für Sonderausstellungen. Jetzt konnten aufgrund einer umfangreichen Stiftung etwa 1.000 Quadratmeter Fläche im Bereich des ehemaligen Vortragssaales hinzugewonnen werden. Eingeweiht wird das neue, separat zugängliche „Hubertus-Wald-Forum“ mit holländischer Genremalerei, einem traditionellen Sammlungsschwerpunkt des Hauses. Die KuratorInnen Martina Sitt von der Kunsthalle und Pieter Biesboer vom Frans-Hals-Museum haben knapp 60 Bilder aus Haarlem, dem damaligen Zentrum der Genremalerei, ausgewählt und den Zeitraum auf die Spanne zwischen 1610 und 1670 begrenzt.

In jener Zeit sind die erst 1588 gegründeten Vereinigten Niederlande die größte europäische Handels- und Seemacht; es ist eine Zeit sagenhaften und oft schnell erworbenen Reichtums, eine Zeit, in der zugleich nebenan im Deutschen Reich der Dreißigjährige Krieg tobt. Die neue Oberschicht schwelgt im Luxus. Und da das nicht so ganz im Sinne der protestantischen Ethik ist, sind die dieses opulente Leben durchaus lustvoll darstellenden Bilder nicht frei von deutlichen moralischen Appellen. Die rauschenden Feste – 1621 erging ein Gebot, die Dauer von Festen auf drei bis vier Tage zu reduzieren – feierten den bürgerlichen Sieg über Spanien und die Kolonialisierung der halben Welt, sie hatten aber auch etwas rücksichtslos Neureiches, zeugten von Vernachlässigung des Gemeinwohls und waren ein schlechtes Beispiel für die Jugend. Der Handel mit Luxusgütern boomte und auch der mit Kunst, eine Situation, für die sich auch in der jüngsten Geschichte Parallelen finden lassen. Ganz deutlich macht den Verfall der Sitten das großartige, aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum angereiste Bild Die Verkehrte Welt von Jan Steen. Spätere Sammler fanden die Gemälde trinkender und rauchender Kinder dann eher drollig, damals waren sie – durchaus aktuell – Mahnung, die anzeigte, wie es nicht sein sollte.

Dabei ist diese Malerei sowohl in ihrer theatralischen Erzählstruktur als auch bezüglich ihrer technischen Meisterschaft gleichermaßen bemerkenswert. Kleine spätmanieristische malerische Feinheiten wie die winzige, ein Fenster reflektierende Seifenblase, die ein Kind auf einer zum Spiel umfunktionierten Austernschale erzeugt hat (Selbstporträt mit Familienmitgliedern von Jan Miense Molenaer), sind ebenso zu entdecken, wie der großzügige, barocke Pinselstrich von Frans Hals. Dessen zwischen zwei Pfeilern zentral gehängter Flötenspieler aus der Gemäldegalerie Berlin ist sicherlich einer der Höhepunkte der Ausstellung, auch wegen seiner in Format und Malweise fast zeitlosen Modernität.

Prachtvolle Bilder, schöne neue Räume: Alles wäre bestens, wäre da nicht so ein eventlüsternes Drumherum. Noch zu keiner Ausstellung gab es in Hamburg ein derartig umfangreiches, tägliches Begleitprogramm. Konzerte und musikhistorische Vorträge, Weinproben und Festessen, Modenschauen und Rundgänge zum Thema „Hurerei in Hamburg“. So was muss heute wohl sein, und es wäre nicht ganz so schlimm, wenn das Misstrauen gegenüber dem Interesse des Publikums an den puren Bildern nicht schon in der Ausstellung begänne. Im größten der neuen Nebenräume ist nämlich ein gedeckter Tisch aufgestellt mit Früchteschalen, historischem Tafelgeschirr und großem Blumenstrauß. Kennt denn wirklich keiner der Besucher einen anständig gedeckten Tisch mehr? Und was nützen herumliegende Weintrauben aus Plastik zum Verständnis der Malerei nebenan? Auf welchem Tiefstand der Pädagogik muss denn einer gemalten Laute eine reale Laute im Glaskasten zugesellt und über alles eine Geräuschcollage gelegt werden? Was vor 20 Jahren ein künstlerisches Konzept zu parallelen Realitäten war, ist inzwischen in theatralischen Übertragungswahn ausgeartet. Das zeigte spätestens im letzten Jahr schon die Rilke-Ausstellung der Bremer Kunsthalle, als gemalte Worpsweder Stühle und gar ein Sarg auch real vor den Bildern herumstanden und Mondscheinbilder nahezu im Dunklen gezeigt wurden. Im Gegensatz zur Tradition des Nachstellens von „Lebenden Bildern“ durch ein interessiertes Publikum sind die notwendig unvollkommenen Versuche, den Darstellungen die scheinbar dargestellten Welten „objektiv“ zuzugesellen, doch bloß eine Pseudoinszenierung von Messedekorateuren.

Dekadenz bürgerlicher Freiheiten und Errungenschaften ist also nicht nur in den Bildern zu finden: Wird in der historischen Situation der Niederlande vor 350 Jahren der Verfall der Sitten im Wohlleben angeprangert, so geht es ganz ähnlich heute um den Niedergang der Idee des Museums im Amüsierrausch. Theater und Kino mag der Jahrmarkt gefallen, haben sie doch dort ihre Wurzeln, der stillen Poesie und vergegenständlichten Philosophie der Kunst ist er schädlich. Mögen Politik und Öffentlichkeit die Kunst und ihre Hüter also bitte nicht immerfort dazu drängen, ihr eigentliches Geschäft zu den Marktschreiern zu tragen!

Vergnügliches Leben – Verborgene Lust. Holländische Gesellschaftsszenen von Frans Hals bis Jan Steen. Hamburger Kunsthalle; Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; bis 16. Mai; Katalog 224 Seiten, 21 Euro. Das Begleitprogramm der Ausstellung hat selbstverständlich seine eigene Homepage: www.vergnuegliches-leben.de