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Archiv-Artikel

Iraks Sunniten fürchten das Abseits

Den einstigen Herrschern im Land fehlt seit dem Sturz Saddam Husseins eine politische Vertretung. Nun hat sich ein religiöser Rat gegründet. Das stößt auch auf Kritik. Hinzu kommt, dass die Attentäter keine Ansprechpartner für Verhandlungen haben

AUS BAGDAD KARIM EL-GAWHARY

„Wir müssen unsere sunnitischen Menschenrechte im Irak unter der Besatzung verteidigen“, sagt Fakri al-Qaisi, Sprecher des sunnitischen Schura-Rates in seinem Büro in der Ibn-Taimia-Moschee in Bagdad. „Unsere Rechte wurden von den Besatzern gestohlen und anderen Gruppen gegeben“, fährt er sichtlich aufgebracht fort. Der Zahnarzt und sein jüngst mit unterschiedlichen islamistischen Gruppierungen gebildeter Sunnitenrat sind der Ausdruck der sunnitischen Panik, im neuen Irak zu den großen Verlierern zu zählen. Die schiitische Bevölkerungsmehrheit fordert Wahlen, um endlich angemessen politisch vertreten zu sein. Die Kurden versuchen, ihre autonomen Gebiete als föderatives Konstrukt in einer Verfassung festschreiben zu lassen. Nur die Sunniten haben sich bisher auf der neuen politischen Landkarte des Irak nicht zurückgemeldet.

„Stets haben sich die Sunniten als natürliche Herrscher des Irak gefühlt“, erklärt der irakische Soziologe Saadun Duleimi. Seit hunderten von Jahren war deren politische Dominanz im Irak nicht in Frage gestellt, auch wenn sie höchstens ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. Der Sturz Saddams und das Ende der Baathpartei hätten die sunnitische Gemeinschaft traumatisiert, sagt Duleimi. Schiiten und Kurden hätten ihre Organisationen, die in Opposition zum alten Regime entstanden seien und die heute ihre Forderungen zum Ausdruck bringen. Die Sunniten dagegen hätten mit dem Sturz des Regimes und der Baathpartei ihre politische Gruppierung verloren, wenngleich durchaus nicht alle von ihnen Anhänger Saddams gewesen seien.

Bisher machen die Sunniten vor allem in ihrem geografischen Dreieck mit Operationen gegen die US-Armee von sich reden. Doch das größte Problem des militärischen Widerstands gegen die Besatzung, sagt der sunnitische Politikprofessor Wamid Omar Nadmi, sei, dass er bisher keine politischen Forderungen formuliert habe. Omar betont wie viele Sunniten die Einheit des Landes. „Viele Leute aus allen Gruppierungen würden den Widerstand gegen die Besatzung unterstützen, hätte dieser ein nationales Programm anzubieten, jenseits der sunnitischen Gebiete“, glaubt er.

Andere Gesprächspartner bestätigen, dass der „Widerstand ohne Adresse“ dazu führt, dass sich niemand findet, mit dem man verhandeln kann. „Wir können den Widerstand nicht erreichen, weil wir nicht wissen, mit wem wir sprechen sollen“, erklärt Mahmud Osman, ein kurdisches Mitglied des Regierungsrats. Und Hamam Hamudi, Berater von Abdel Asis Hakim, dem Chef der am besten organisierten Schiitenpartei, Sciri, beklagt die Schwierigkeiten, bei der Guerilla jemanden zu finden, um die Probleme in einem friedlichem Dialog auszuhandeln.

So sehr der sunnitische Politikprofessor Omar für eine politische Organisation des Widerstands plädiert, so sehr sträubt sich der erklärte arabische Nationalist gegen alle Versuche, eine rein sunnitische Organisation aufzubauen. „Bei mir läuten alle Alarmglocken, wenn sich nun auch noch die Sunniten nicht als Iraker, sondern als religiöse Gruppe organisieren und die Teilung des Lands vorantreiben“, sagt er. Sie sollten die Differenzen mit den Schiiten überwinden und mit den Kurden zu einem gemeinsamen Verständnis kommen, fordert er.

Al-Qaisi vom neuen sunnitischen Rat versucht sich indes vor allem im politischen Spagat mit den Besatzern. Zum Widerstand hätte der Rat keinerlei Verbindungen, sagt er, rechtfertigt ihn aber als „legitime Reaktion gegen US-Truppen, die sogar Moscheen angegriffen haben“. Die Beziehungen zwischen Schura-Rat und Besatzungstruppen haben jedenfalls keinen guten Anfang genommen, als US-Soldaten am 1. Januar ein Treffen in Qaisis Ibn-Taimia-Moschee auflösten und 32 Menschen verhafteten einschließlich des Vorbeters der Moschee, Imam Mahdi al-Sumaidai. Laut US-Angaben seien dabei in der Moschee Waffen und Sprengstoff gefunden worden. Das streitet Al-Qaisi vehement ab. „Wenn die Amerikaner uns fair behandeln, sind wir durchaus bereit, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Wir haben den Rat geschaffen, sodass die Besatzer einen Ansprechpartner bei den Sunniten haben. Schließlich wollen wir in der nächsten irakischen Regierung auch unseren fairen Anteil bekommen, mit den wahren Repräsentanten der sunnitischen Gemeinde“, sagt er.

Wie immer sich die Sunniten am Ende organisieren werden, ihr feindliches Image in den Augen der Besatzer werden sie so schnell nicht abstreifen. Dort werden sie als ehemalige Baathisten, Saddam-Anhänger oder als islamische Fundamentalisten angesehen, die sich mit der US-Armee in einer blutige Fehde verstrickt haben. Trotz mehrerer Warnungen an Washington, die Sunniten aus dem politischen System nicht auszuschließen, scheint die US-Verwaltung unter Paul Bremer diesen Versuch inzwischen aufgegeben zu haben. Ein schwerer Fehler: Die Sunniten sind sicherlich zu schwach, um die Besatzung militärisch zu besiegen und wieder ihre alte Herrscherrolle im Irak einzunehmen. Doch sie sind stark genug, den Wiederaufbau des Landes und die Stabilität zu sabotieren.