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Archiv-Artikel

Auf dem Bolle-Boden sollen bald die Minarette wachsen

Das Moscheeprojekt am Görlitzer Bahnhof wurde auf einer Kreuzberger Kiezversammlung debattiert. Trotz Skepsis überwog zuletzt die Zustimmung

„Ich als Veteran vom 1. Mai 87 verlange, dass das Bolle-Grundstück ein Museum wird“, rief ein älterer Redner im Publikum. Mit ihm waren am Donnerstagabend rund 200 Kreuzberger zu einer Bürgerversammlung in den Görlitzer Park gekommen. Organisiert hatte die Veranstaltung der Stadtteilausschuss Kreuzberg. Gegenstand der Debatte: die Planungen für das Bolle-Grundstück am Görlitzer Bahnhof. Dort sollen noch in diesem Jahr ein islamisches Kulturzentrum und eine Moschee entstehen.

Am 1. Mai 1987 wurde der Bolle-Supermarkt an der Ecke Manteuffelstraße/Wiener Straße von Demonstranten geplündert und dann von einem Pyromanen in Brand gesetzt. Weil Bolle die Filiale zunächst nicht neu bauen wollte, das Grundstück aber auch nicht veräußerte, liegt der Platz seither brach. Nur die Reste einer Brandmauer erinnern an die Ereignisse von damals.

Die Initiative zum Bau des „Maschari Center“ kommt nun zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits drei weitere Moscheen in unmittelbaren Nachbarschaft gebaut werden oder in Planung sind. Seit den 80er-Jahren gibt es verstärkte Bemühungen, Moscheen in Berlin zu bauen. Aus Angst vor dem Zuzug weiterer Muslime und aufgrund fehlender Integration der islamischen Verbände in die lokalen politischen Strukturen wurden diese Pläne bislang jedoch meist nicht verwirklicht. Entsprechend findet sich heute in der Innenstadt kein einziges repräsentatives islamisches Gebäude. Die meisten Moscheen wurden auf Hinterhöfe, Ausweichgrundstücke oder Fabriketagen abgeschoben. Das religiöse Leben der Muslime wird daher von den meisten Berlinern kaum wahrgenommen.

Das soll sich jetzt ändern. Mittlerweile sind die Stadt und ihre Politiker mehr und mehr bereit, Muslimen einen sichtbaren Platz im Stadtbild zu gewähren. Und auch auf der gestrigen Bürgerversammlung äußerte sich die überwiegende Mehrheit der anwesenden Kreuzberger wohlwollend über den geplanten Bau.

Während alle bisherigen Moscheenprojekte von einem der drei in Berlin bekannten islamischen Verbände organisiert worden sind, will nun erstmals ein bisher unbekannter Verein ein größeres Bauprojekt durchführen. Der „Islamische Verein für wohltätige Projekte e. V.“ hat das Bolle-Grundstück gekauft. Bisher hatten sich die Gläubigen in einer angemieteten Fabriketage in der Skalitzer Straße getroffen.

Die Baumaßnahmen sollen bereits in diesem Jahr beginnen, die Kosten werden auf 10 Millionen Euro veranschlagt. Das Projekt soll allein durch Spenden und Kredite finanziert werden, allerdings gehören dem Verein selbst lediglich sieben Personen an. Sein Pressesprecher, Birol Ucan, verweigerte jede Auskunft zur gegenwärtigen Finanzsituation des Vereins und rief stattdessen alle Anwesenden zu Spenden auf.

Ucans Verein zeigt nach außen ein moderates Gesicht. Das „Maschari-Center“ soll „offen für jeden“ sein. Soziale Beratung, Deutsch- und Arabischkurse und religiöse Angebote sollen Integration und interkulturellen Austausch fördern. Zudem ist geplant, im Erdgeschoss des 7-stöckigen Gebäudes eine Ladenzeile mit einem SB-Markt, einem Café, einem Imbiss, einem Friseur und einer Boutique einzurichten. Die Moschee wird sich im Innenhof des Gebäudes befinden, auf dem Dach sollen sechs Minarette orientalisches Flair vermitteln. Ein Kreuzberger kommentierte das skizzierte Modell als „Mittelklassehaus mit aufgesetzten Minaretten“. Es blieben noch weitere Zweifel. Vor allem das von Ucan verwendete Vokabular machte einige Zuhörer stutzig. „Unser Ziel ist die Verbreitung der wahren Religionslehre. Wir bekämpfen Gruppen, die den Koran falsch auslegen“, verkündete der Vereinssprecher, um beschwichtigend hinzuzufügen: „Für radikale Islamisten haben wir null Toleranz.“

Als die Bürgerversammlung nach zweieinhalb Stunden zu Ende ging, überwog dennoch die Zuversicht. Eine Nachfolgeveranstaltung ist geplant. Kreuzberg freut sich auf eine neue Moschee. Nur der 1.-Mai-Veteran ging etwas traurig nach Hause.

STEFAN WELLGRAF