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Archiv-Artikel

Irgendwie selbstkokett immer

Als die Wörter laufen lernten: Die Diagonale in Graz ehrt mit dem Drehbuchautor Carl Mayer einen Star der Zwanzigerjahre. Nicht ganz nach dem Skript läuft allerdings die politische Diskussion über die Intendanz des Filmfestivals. Wer entscheidet?

von BRIGITTE WERNEBURG

Den Lauf der Dinge nicht ganz drehbuchgemäß zu nennen liegt auf einem Filmfest natürlich nahe. Geradezu zwangsläufig aber drängt sich die Wendung auf, wenn das Drehbuch einen Schwerpunkt des Festivals bildet, so wie bei der jetzigen Diagonale in Graz, wo „Carl Mayer Scenar[t]ist. Ein Filmautor zwischen Caligari und Exil“ eine aufwändige Würdigung erfährt.

Nicht ganz drehbuchgemäß war etwa der Widerstand gegen die Pläne des Wiener Kunststaatssekretärs Franz Morak (ÖVP), den der scheidende Grazer Bürgermeister und sein designierter Nachfolger signalisierten. Morak hatte die Intendanz der Diagonale kurzfristig neu ausgeschrieben, und zwar so, dass sie eine Bewerbung der bisherigen Leiter Christine Dollhofer und Christian Wulff nahezu ausschließt. Graz, so endete der Bürgermeister seine Dankesrede an die scheidenden Intendanten, habe da als „Finanzierungspartner“ doch wohl mitzureden und so sei es für ihn nicht undenkbar, dass die neue Führung wieder die alte sein könnte.

Morak, der wie schon die Jahre zuvor der Diagonale-Eröffnung wegen angeblicher Terminprobleme fernblieb, verwahrte sich in einem Interview aber gleich gegen eine solche Mitsprache. Er präsentiert nun, so wird vermutet, Dollhofer und Wulff die Rechnung für die Aktionen und Filmreihen, die die beiden mit Beginn der schwarz-blauen Regierungskoalition gegen diese initiiert hatten. Vor allem aber hatten sie die ehemalige Provinzveranstaltung, die nie einen rechten Standort fand, seit 1998 in Graz endlich zu einem renommierten und vom Fachpublikum wie von den Besuchern weithin akzeptierten Festival des österreichischen Films aufgebaut. Die Erfolgsargumente liegen also ganz auf Seiten von Dollhofer und Wulff, denen das Publikum mit demonstrativen, minutenlangen Standing Ovations ihre Solidarität bezeugte. Doch was zählen Argumente, wenn Durchsetzungswille und -möglichkeit als Letztbegründung bekanntlich schwer in Mode sind.

Doch nun drehbuchgemäß: Graz also darf sich rühmen, Geburtsort Carl Mayers zu sein, der in bürgerlich-ungeordneten Verhältnissen aufwuchs und sich zunächst als Theaterschauspieler versucht hatte, bevor er als Inspizient nach Berlin ging, wo ihm mit seinem ersten Script „Das Cabinett des Dr. Caligari“ (1919/20, Regie: Robert Wiene) gleich der große Coup gelang. Innerhalb des kurzen Zeitraums von 1919–1923 wurden 17 der 22 Stummfilme, zu denen er das Buch verfasste, realisiert. Damit wurde er zum hoch bezahlten Star des Weimarer Kinos, der 1933 als Jude allerdings emigrieren musste. 1944 starb er völlig verarmt an einer Krebserkrankung im Londoner Exil. Interessanterweise arbeitete Mayer, der als Drehbuchautor eine singuläre Erscheinung war, hervorragend im Team. Lupu Pick, F. W. Murnau, Paul Czinner und Robert Wiene waren die Regisseure, mit denen er kooperierte und mit denen es ihm gelang, die Kamera, die er in seinen Büchern beweglich wie einen Menschen beschrieb, ganz neuen Blickpunkten zugänglich zu machen.

Ein bisschen wie eine Umdrehung der Murnau-Retrospektive der diesjährigen Berlinale wirkt daher auch „Carl Mayer Scenar[t]ist“, freilich ist es ein hoch interessanter Perspektivwechsel. Immerhin, als Friedrich Wilhelm Murnaus „Der letzte Mann“, der jetzt die Reihe eröffnete, 1924 uraufgeführt wurde, stand auf den Plakaten „Ein Film von Carl Mayer“. Murnau wurde erst an zweiter Stelle genannt. Das war zwar damals Konvention. Doch wie berechtigt diese Aussage ist, wie sehr die Filme, zu denen der 1894 geborene Drehbuchautor die Bücher schrieb, tatsächlich seine Filme sind, in Kamera-, Licht- und selbst Schauspielführung, macht jetzt die penibel recherchierte Hommage deutlich. Vor allem Otto Sanders szenische Lesungen aus „Der letzte Mann“ und „Sunrise“ evozierten Bilder, die sich danach in den Filmen verblüffend genau umgesetzt wiederfanden. Dabei erschien es frappanterweise so, als ob er Gedichte vorläse: „Dieses Bauernhaus von außen. – Abenddunkelnd. – Jetzt: – Heraustretend: Sie! – Irgendwie selbstkokett immer. – So Handschuhe anziehend. – Und kurzrockhaft jetzt gehend.“ Kurzrockhaft gehend, das sieht man doch sofort. Ganz drehbuchgemäß.

„Carl Mayer Scenar[t]ist“. Hrsg. von M. Omasta, B. Mayr, Ch. Cargnelli. Synema Publikationen, Wien 2003, 344 S., 250 Abb., 35 €