: Gepfiffen wird immer
Auch wenn Braunschweig wie jetzt gegen die Stuttgarter Kickers hervorragend spielt: die Haupttribüne ist unzufrieden. Die alten Fans können nicht verdauen, dass der ehemalige Bundesligist nur noch in der dritten Liga spielt
In Braunschweig pfeifen die Zuschauer auf der Haupttribüne auch, wenn die Mannschaft hervorragend spielt. In der ersten Halbzeit gegen die Stuttgarter Kickers tut sie das: mit hohem Tempo, Doppelpässen, Dribblings und vielen Torchancen. Doch mehr als ein Tor springt nicht heraus, geschossen wird es von Marcel Schied nach Vorarbeit von Dennis Kruppke. Kruppke ist es dann, der nach dem Spiel bedröppelt nach einer Erklärung für das 1 : 1 gegen die Kickers sucht, die nun nicht mehr Tabellenletzter sind. „In der Kabine war es nach der ersten Halbzeit ziemlich still, weil alle an die Chancen dachten, die wir vergeben hatten.“
Die Braunschweiger Zuschauer pfeifen, aber das hat nur wenig mit dem Spiel der Mannschaft zu tun. Sondern mit dem Zorn auf die Entwicklung der vergangenen 40 Jahre. Eintracht Braunschweig war 1967 Deutscher Meister, und die Fans, die pfeifen, können die Aufstellung der Meistermannschaft auswendig hersagen. Sie sind seitdem auf- und vor allem abgestiegen, waren fast wieder in der Ersten, sind zuletzt 2007 aus der Zweiten Liga abgestiegen, qualifizierten sich am letzten Spieltag der vergangenen Saison für die eingleisige Dritte Liga, und nie, nie kann die Mannschaft, egal wie gut sie spielt, all das wieder gut machen, was den Fans in 40 Jahren an Schmerz zugefügt wurde.
Andere hat es noch schlimmer erwischt. Sie sind in der Versenkung verschwunden. Aber das ist für die Fans in Braunschweig kein Trost. Sie haben keine Geduld, sie machen wegwerfende Gesten, wenn ihre Spieler so spielen, wie Spieler in der Dritten Liga eben spielen. Vielleicht kommen viele Zuschauer nur noch deshalb ins Stadion, um einen Platz zu haben, an dem sie ihre Enttäuschung über das, was sie in diesem Stadion erlebt haben, wieder loszuwerden. Und merken nicht, dass sie sich, während sie ihre Enttäuschung loswerden wollen, neue Enttäuschungen holen.
In der 40. Minute bekommen die Kickers eine Ecke, aus der Abwehrspieler Jens Härter den überraschenden und zu diesem Zeitpunkt unverdienten Ausgleich macht. „Die Mannschaft hat sich um den Lohn gebracht“, sagt Eintracht-Trainer Torsten Lieberknecht, der die Geschichte des Spiels „für schnell erzählt“ erklärt. Daraus spricht der Wunsch, so wenig wie möglich über dieses Spiel sprechen zu müssen.
„Nie und nimmer darf uns das passieren. Niemals, nie“, sagt Kruppke, und mit jedem „nie“ wird seine Stimme leiser. In der zweiten Halbzeit ist die Kraft weg, „einige Spieler sind stehend K. o.“, sagt Lieberknecht, was auch daran liegt, dass die Eintracht viele Verletzte hat und einige spielen, die konditionell noch nicht so weit sind.
Die Kickers sind nun überlegen. Die Braunschweiger Zuschauer pfeifen.
ROGER REPPLINGER