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Archiv-Artikel

Wachsen an den Aufgaben

Nicht alle Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi glauben an die eigene Schlagkraft. Noch sind die Reibungsverluste im Apparat groß. Der Landesbezirk Bremen-Niedersachsen stellt sich dennoch kampfbereit hinter Bundes-Chef Frank Bsirske

Von ede

taz ■ „Bsirske ist gut.“ „Ein guter Redner.“ „Recht hat er, man kann nicht die Gewerkschaften verantwortlich machen für Arbeitslosigkeit und Krise. Die Politik versagt.“ „Die SPD braucht einen Denkzettel.“

Mit seiner 90-minütigen Grundsatzrede über einen „völkerrechtswidrigen Krieg, das Gespenst einer Wirtschaftskrise im Gefolge“, hat der Bundesvorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi am Samstag im Congress Centrum den Nerv der 161 Delegierten aus Bremen und Niedersachsen getroffen. Sein Angriff auf die angekündigten Reformeinschnitte der Bundesregierung, die viele Wähler enttäuscht hätten, gab eine klare Richtung vor. Und die Kampfansage gegen Kürzungen bei den Sozialleistungen und im Gesundheitswesen sowie gegen eine Verschlechterung des Kündigungsschutzes weckte ein Gefühl von Stärke, das am Tag zuvor geschwächelt hatte. Bsirske verließ den Saal unter stehendem Applaus.

Noch am Freitag war der Auftakt zur ersten gemeinsamen Landesdelegiertenkonferenz des Bezirks Bremen-Niedersachsen seit der Gründung von Verdi vor 22 Monaten von beschwörerischen Appellen an die Einheit der großen Dienstleistungsgewerkschaft begleitet gewesen. Trotz professioneller Selbstdarstellung der Sammel-Gewerkschaft und der dramaturgisch reibungslosen Wiederwahl der Spitze unter Landesleiter Wolfgang Denia brach immer wieder Zweifel durch. Selten allerdings als befreiend-öffentliches Spötteln – „Wo ist hier der Saal für die Verdi-Leute?“ –, das sogar frühere Einzelgewerkschafter über sich selbst kichern ließ und über das allgemeine Fremdeln tröstete. Dieses hatte sogar eine Aussprache über den ersten gemeinsamen Rechenschaftsbericht blockiert. Zwar grummelte so mancher: „Das war früher auch anders.“ Doch andere wiegelten ab: „Hier ist nicht der richtige Ort für eine echte Debatte.“

Noch immer fühlen sich viele Verdi-anerInnen nicht richtig aufgestellt. „Groß, aber unübersichtlich“ sei der Apparat, die Animositäten ehemals konkurrierender Einzelgewerkschaften lange nicht überwunden. Die zur Absicherung alter Interessensansprüche eingeführte Quotierung vieler Posten sei wenig dynamisch. „Zu viele Ältere“, glaubten außerdem viele der vergleichsweise wenigen Jungen im Saal. Zudem laufe der Apparat oft nur holprig. Selbst langjährige Gewerkschafter und Betriebsräte vor Ort sind niedergeschlagen. „Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis die Mitgliederlisten da waren“, schimpfen sie. Zuständigkeiten gebe es zwar auf dem Papier. „Aber in der Praxis erreiche ich niemanden“, klagen vor allem Bremer Gewerkschafter im Fachbereich 13, „Besondere Dienstleistungen“. „Wir haben schon mit Austritt gedroht“, Warnstreik oder sogar die dringend notwendige Mitgliederwerbung sei unter solchen Bedingungen undenkbar, sagt der Delegierte vom Bremer TÜV.

Echten Widerspruch löst diese Einschätzung unter KollegInnen kaum aus – wohl aber Betroffenheit und Beschwichtigung. „Das ist ein riesiges Fachgebiet, von den Wachdiensten bis zu den Callcentern.“ Vorbildlich dagegen laufe – trotz einbrechender Ausbildungszahlen – die landesweit übergreifende Jugendarbeit. Überhaupt sei Stärke eine neue Qualität.

„Als die Feuerwehrleute den Frankfurter Flughafen lahm gelegt haben, das war ein gutes Gefühl“, schwärmt Jugendreferent Matthias Hoffmann. „Und die Frauen sind mächtig geworden“, freut sich die Bremerin Angelika Bruns über die Überzahl der weiblichen Delegierten. „Aber wir müssen weiter umbauen.“ Die Basis müsse gestärkt werden – trotz des regionalen Schwunds von über 7.000 (von insgesamt 322.000) Mitgliedern allein im vergangenen Jahr, davon über 1.100 im Land Bremen. „Ich sehe gar keinen Personalüberhang“, reagiert sie wie viele Delegierte auf die angekündigten „sozialverträglichen“ Spareinschnitte bei Verdi. Es gebe angesichts der SPD-Reformpläne viel zu tun – auch wenn Bürgermeister Henning Scherf (SPD) die Gewerkschaften in seinem Grußwort als „verlässliche demokratische Säulen in unserem Land“ bezeichnet hatte. ede