: Unterrichtsqualität versus Staatsfinanzen
Lernmittelfreiheit gibt es de facto in keinem Bundesland. Ein Vergleich zeigt, welche Beteiligungsmodelle sich die jeweiligen Landesregierungen ausgedacht haben und in welchem Umfang die Eltern dabei zur Kasse gebeten werden
Wer an Schulbücher denkt, hat oft vergilbte Einbände vor Augen. Die Seiten speckig oder beschmiert. Meistens beides. Denn die Fibeln wie auch die voluminösen Bände für die älteren Klassenstufen werden von den Schulen an die Schüler ausgeliehen. Jede Schülergeneration hinterlässt ihre Spuren. Für dieses Ausleihmodell gibt Berlin zur Zeit einen zweistelligen Millionenbetrag aus. Wo der wohl wirklich versickert, lautet eine oft gehörte Frage.
Zuweilen reparierten Bezirksverwaltungen mit dem Bücherscheck, den sie von der Senatsverwaltung erhielten, kaputte Straßen, lautet eine Antwort. Und so ist ein oft gehörtes Argument gegen die staatlich finanzierte Lernmittelfreiheit: Sie leitet das Geld nicht dorthin, wo es gebraucht wird. Staatlicher Dirigismus verhindere Qualität – in diesem Fall jene der Lernmittel. Diese Argument bereitet den Boden dafür, mehr elterliches Engagement zu fordern. Konkret: Wer zahlt, kann auch die Qualität von Bildung kontrollieren. In einer Pleitestadt wie Berlin gewinnt diese Überlegung für viele zusätzlichen Charme. Das Land wittert Sparpotenzial. Deswegen wird die Debatte um Sinn und Zweck der Lernmittelfreiheit vor allem anhand von Zahlen geführt. Das Wort Unterrichtsqualität taucht dabei nur noch selten auf.
Doch selbst bei den Zahlen herrscht Verwirrung. Schon das Wort Lernmittelfreiheit führt in die Irre. Denn die freie – sprich kostenlose – Ausgabe von Lernmitteln ist in keinem Bundesland Realität. Zwischen 11 Prozent – wie in Berlin, Hamburg, Baden-Württemberg – und über 70 Prozent – wie im Saarland und in Rheinland-Pfalz – müssen Eltern zu den Schulmaterialien ihrer Kinder beisteuern. Wie die Ausgaben zwischen Land und privaten Haushalten aufgeteilt werden, dazu gibt es unterschiedliche Modelle. Beim Bonussystem werden Eltern mit geringem Einkommen staatlich unterstützt, zum Beispiel mit Bildungsgutscheinen. In Bundesländern, die wie Berlin das Ausleihsystem praktizieren, müssen Eltern nur Verbrauchsmaterialien hinzukaufen. Die meisten Länder haben sich dafür entschieden, Eltern pauschal oder prozentual am Bücherkauf zu beteiligen.
Das Saarland finanziert Schulbücher nach dem Bonussystem. Je nachdem, wie viel die Eltern verdienen, bezuschusst das Land den Schulbuchkauf mit 50, 75 oder 100 Prozent. Eine volle Förderung gibt es hier für Alleinerziehende mit einem Einkommen unter 690 Euro. Den ausgezahlten Summen liegen dabei durchschnittliche Kosten der Bücher zugrunde, die im jeweiligen Schuljahrgang angeschafft werden müssen. Im Schuljahr 1999/2000 förderte die Landesverwaltung gerade einmal 13 Prozent der 120.000 Schüler. An der geringen Förderquote liegt es, dass der durchschnittliche saarländische Haushalt knapp 80 Prozent der jährlichen Ausgaben für Schulbücher zahlt. Im letzten Jahr gab das Saarland rund 4 Millionen Euro aus. Das sind etwa 33 Euro pro Schüler.
Das Land Baden-Württemberg beteiligt die Eltern etwa mit 11 Prozent an den Schulbuchausgaben. In dem südlichen Bundesland wird das Leihsystem praktiziert, über das 1,5 Millionen Schüler versorgt werden. Ausgenommen davon sind alle Unterrichtsmaterialien, die wenig kosten. Solche Lernmittel, die auch außerhalb des Unterrichts genutzt werden können, müssen privat gekauft werden. Da jedoch die Kommunen darüber bestimmen, wie sie ihre Schulen ausstatten, liegen keine verlässlichen Zahlen vor, inwieweit die Eltern beteiligt werden.
In Brandenburg beteiligen sich die Eltern zurzeit mit einem Pauschalbetrag von 33 Prozent am Schulbuchkauf. Bis zu dieser Summe kaufen Eltern die Schulbücher im Handel. Die verbleibenden zwei Drittel schießt das Land zu. Insgesamt gibt Brandenburg für seine 309.000 Schüler jährlich 19 Millionen Euro aus. Das sind 37 Euro pro Kopf. Die Eltern tragen rund 24 Euro. Tendenz steigend.
MATTHIAS BRAUN