: Liebesgrüße aus Bagdad
Das erste Gastspiel des irakischen Sängers und Gitarristen Ilham Al-Madfai in Berlin stand ganz im Schatten der Ereignisse am Golf, obwohl er sich in seinen Songs meist nur nach schönen Frauen sehnt
von DANIEL BAX
Es war ein bewegender Moment. Gerade erst hatte Ilham Al-Madfai eine Ballade angestimmt, die unverkennbar von der Stadt Bagdad handelte, da schossen dem Musiker neben ihm die Tränen in die Augen, und er tupfte sich mit einem Taschentuch verstohlen das Gesicht. So manchem im Saal schnürte es da ebenfalls die Brust zu, und als das Stück zu Ende war, herrschte für einen Moment betretenes Schweigen. Dann setzte der Applaus ein, und alle im Saal erhoben sich als Demonstration des Mitgefühls wie zu einer Gedenkminute. Mehr als diese Geste brauchte es an diesem Abend nicht, um an den derzeitigen Krieg im Irak zu erinnern.
Ilham Al-Madfai ist einer der populärsten Musiker des Landes. Schon in den frühen Sechzigerjahren gründete er in Bagdad eine der ersten Bands, die sich mit modernen, westlichen Instrumenten an einer Erneuerung der arabischen Musik versuchte. Später ging er zum Architekturstudium nach London, wo er den popmusikalischen Aufbruch aus nächster Nähe miterlebte. Davon beflügelt, kehrte er 1967 in den Irak zurück und verband spanische Gitarre und irakische Traditionen zu seinem ganz eigenen Stil. In den Neunzigerjahren gelang ihm damit ein spätes Comeback, das ihn, der heute in Jordanien lebt, fast in der gesamten arabischen Welt bekannt machte.
Die Gipsy-Gitarre ist bis heute sein Markenzeichen geblieben. Bei seinem Konzert im Berliner Haus der Kulturen der Welt, im Rahmen des Festivals „DisORIENTation“, lagen „Ilham“-Poster aus, die ihn mit schlichter Weste und Hemd zeigten, sein Instrument zwischen den Knien. Und genau so trat er dann auch auf die Bühne, zu seinen Musikern, die allesamt in Schwarz gekleidet waren. Neben Saxofon, Keyboard und einem E-Gitarristen, der schüchtern am Rande stand, sind es vor allem das Kanun, das orientalische Hackbrett, die Kniegeige al-Jousa und die orientalische Ney-Flöte, also die Instrumente der arabischen Klassik, die den Klang prägen. Und natürlich die orientalische Percussion-Sektion, die mit Darbuka-Handtrommeln und Tamburin den Rhythmus antreibt und die sich im Haus der Kulturen der Welt die Finger wund trommelte.
Auf seinem Hocker thronend dirigiert Ilham Al-Madfai das Ensemble mit knappen Handbewegungen. Oft dehnt er seine Stücke, die er schon viele Male gespielt hat, zu zehnminütigen Epen aus. Manchmal gleitet er auch über in andere Songs oder lässt sie unbemerkt in eine Art Medley münden. Der irakische Musiker steckt knietief in der orientalischen Tradition mit ihrem steten Schwanken zwischen wehmütiger Klage und Tanzbarkeit. Der Klang der spanischen Gitarre gibt den Kompositionen allerdings einen luftig-mediterranen Anstrich. Mit dieser Mischung hätte Ilham Al-Madfai durchaus Chancen auf eine Karriere im Westen. Nur hatten westliche Plattenfirmen – Frankreich einmal ausgenommen – bislang noch selten ein geschicktes Händchen beim Umgang mit arabischen Künstlern.
Es ist der Krieg, der dem Auftritt des irakischen Gitarristen zusätzliche Aufmerksamkeit verlieh. Doch Ilham Al-Madfai ging mit keinem Wort darauf ein, und auch seine wenigen arabischen Ansagen schienen von anderem zu handeln. Denn Ilham Al-Madfai ist kein politischer Sänger, die meisten seiner Songs erzählen von der Liebe in allen Facetten: Sie drehen sich um Beschwörungen schöner Frauen und schlafloser Nächte, um Liebesgrüße aus Bagdad und Trennungsschmerzen am Tigris. Allenfalls den Song „Chal Chal Alayea El Rumman“ könnte man als Allegorie auf die aktuelle Lage lesen: Die „Umarmung des Granatapfelbaums“ bezieht sich auf die Zeit des Ersten Weltkriegs, als Bagdad unter osmanischer Herrschaft stand und die Briten zur „Befreiung“ einrückten. Unnötig zu sagen, dass beide gleich unbeliebt waren.
Viele Fotografen und sogar einige Filmteams waren dennoch gekommen, um das Konzert zu dokumentieren. Sobald sich jemand im Publikum in orientalischen Tanzbewegungen wog, stürzten sie sich auf ihn und umkreisten ihn. Zwei Frauen in der ersten Reihe schienen diese Aufmerksamkeit zu genießen und ließen ihre langen Locken im Scheinwerferlicht wehen. Zu diesem Zeitpunkt stellten längst ganze Bauchtanzschulen ihr Können unter Beweis, und Ilham Al-Madfai drehte noch einmal auf, er schien gar nicht mehr aufhören zu wollen.
Erst nach drei Stunden verabschiedete er sich von der Bühne. Ein kleines Mädchen, begleitet von seiner Mutter, nutzte die Gelegenheit, um ihn noch rasch um ein Autogramm zu bitten. Als er für die Zugabe auf die Bühne zurückkehrte, wurde Ilham Al-Madfai von einer Gruppe Fans überredet, für ein Erinnerungsfoto zu posieren. So bald kommt die Gelegenheit ja nicht wieder.