Blairs Visionen vom Asylrecht

Blair bereitet den nächsten Bruch des Völkerrechts vor: Demontage des individuellen Asylrechts in Europa

Unter der Überschrift „New Vision for Refugees“ entwickelt die britische Regierung ein Konzept, das das Asylrecht in Europa in seiner Substanz angreift. Es geht im Kern um die Auslagerung des Flüchtlingsschutzes in die Herkunftsregionen und die mittelfristige Demontage der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Die Idee: Flüchtlinge, denen es gelingt, europäischen Boden zu erreichen, sollen hier interniert und so schnell wie möglich in heimatnahe Schutzzonen zurückgeschafft werden. Gemeinsam mit anderen EU-Staaten will Großbritannien ein Netz solcher Flüchtlingsreservate in allen Hauptherkunftsregionen von Flüchtlingen schaffen. Abgeschoben aus Europa, sollen sie in den geplanten Flüchtlingsreservaten zunächst festgehalten werden. Wenn sich die Lage im Herkunftsland nicht stabilisiert, soll über ihren Asylantrag entschieden werden. Als Flüchtlinge Anerkannte würden in geringer Zahl nach Quote, von den EU-Staaten aufgenommen werden. Abgelehnten droht die Abschiebung ins Herkunftsland. Über kurz oder lang möchte man die als „regionale Schutzzonen“ titulierten Reservate als sichere Drittstaaten qualifizieren, in welche ohne jede Einzelfallprüfung abgeschoben werden kann. Reservate dieser Art könnten in der Türkei, im Iran, in Nordsomalia, Marokko, Rumänien, Kroatien und in der Ukraine entstehen. Ein britisches Pilotprojekt in Albanien läuft bereits an.

Die britische „Vision für Flüchtlinge“ besteht darin, die EU weitgehend flüchtlingsfrei zu machen. Dies geschieht parallel zu den Bemühungen um eine Harmonisierung des Asylrechts in der EU. Die bliebe Makulatur, wenn die Verantwortung für Flüchtlinge ausgelagert wird. Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) hätten die Briten gern dabei: Degradiert vom Garanten des Flüchtlingsschutzes in den Unterzeichnerstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention zum Lageraufseher in Reservaten, würde es dem Konzept eine Scheinlegitimität verleihen.

Die Auslagerung der Verantwortung für Flüchtlinge in die Herkunftsregion soll ergänzt werden durch die Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort. Dabei hält man sich nicht lange mit Programmen auf, die für die Verbesserung der Menschenrechtslage und der Lebensumstände eintreten, sondern kommt zur Sache: Bomben für den Flüchtlingsschutz sind eine Methode der Wahl.

Die Vision von einem Flüchtlingsschutz, der ausgelagert und zugleich militärisch flankiert werden soll, muss nach den britischen Vorstellungen Teil eines neuen globalen Asylsystems werden. Die Errungenschaften der Menschenrechtsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg werden damit zur Disposition gestellt. Die Genfer Flüchtlingskonvention war und ist auch eine Antwort auf die gescheiterte Flüchtlingskonferenz in Evian 1938. Die Unwilligkeit der beteiligten Staaten, Verfolgten des Naziregimes Schutz zu gewähren, besiegelte damals das Schicksal vieler Menschen. Mit der GFK vollzog sich der Übergang vom Akt staatlicher Gnade zu einem individuellen Schutzanspruch für Flüchtlinge. Weist die Europäische Union den britischen Vorschlag nicht unmissverständlich zurück, würde sie sich von ihrer menschenrechtlichen Traditionen verabschieden.

KARL KOPP

Der Autor ist Europareferent von Pro Asyl und Vorstandsmitglied von ECRE