Der Krake gehört geklopft

Mit ungebremstem Elan demonstrierten auch am Samstag wieder über 50.000 Menschen in Berlin für den Frieden

von WALTRAUD SCHWAB

Keine homogene Menge: Schüler und Schülerinnen neben gestylten Damen, alltägliche Punks neben bierbäuchigen Alltagsmenschen, Mütter mit Kindern neben Demonstrationsneulingen mit unsicherem Blick, die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch stramm hinter dem straßenbreiten PDS-Transparent, der weißhaarige Mann, der sich als „namenloser Parteisoldat“ bezeichnet, als Einziger mit einer SPD-Fahne. Was sie eint: Das „Nicht in meinem Namen“. Der Irakkrieg treibt sie um. „Von Bewegung würde ich nicht sprechen, eher von Bewegtsein“, sagt eine Frau, die die Regenbogen-Pace-Fahne am Besenstil mit sich trägt. Beim letzten Golfkrieg habe man den DemonstrantInnen vorgeworfen, sie gingen auf die Straße, weil sie Angst hätten, der Krieg könne bis nach Deutschland kommen. Das sei dieses Jahr nicht so. Die Arroganz der amerikanischen Regierung bedrohe. „Diese gefühlte Ungerechtigkeit“ lässt die Leute auf die Straße gehen. Die meisten wissen, dass sie einen langen Atem brauchen.

Seltene Einigkeit herrscht zwischen Veranstaltern und Polizei: Beide meinen, dass am Samstag in Berlin mehr als 50.000 Menschen gegen den Krieg demonstrieren. Vom Potsdamer Platz aus bewegt sich ein Zug, erkennbar an den blauen Friedenstauben-Luftballons, die Straße des 17. Juni entlang zur Siegessäule. Vom Ernst-Reuter-Platz her kommt der zweite auf das Denkmal zu. Hier sind die Ballons grün.

Die Demonstration wirkt wie ein Frühlingsausflug. Im Tiergarten picknicken die ersten Familien. In Hörweite der Demonstranten und der großen Bühne, die zwischen den Denkmälern der Generäle Moltke und Roon aufgebaut ist. „Mehr Power“, sagt einer über das Mikrofon. So sieht samstägliches Protestieren für den Frieden aus. Attraktionen wie der Fesselballon von Greenpeace, der sich an den Anfang des Demonstrationszugs setzt, inklusive. Eine riesige Weltkugel, auf der „No War“ steht. Damit er nicht abhebt, ist der Ballon an einen Landrover angebunden. Damit er schwebt, wird er in regelmäßigen Abständen mit Gas gefüllt. Es klingt wie das Ausatmen eines Rhinozeros. „Vergessen Sie nicht, das hier ist Meinungsäußerung von unten. Wer sagt, dass man dabei immer im Regen stehen soll?“, warnt ein Flaneur.

Dass hier die Meinungsfreiheit noch eine Frage der persönlichen Befindlichkeit ist, gibt der Demonstration ihre besondere Note. Einer zeigt seinen Button am Revers: einen vielbeinigen Kraken in den US-Farben. Er sei wie die USA: „Dem Tier muss man auf die Finger hauen, damit es sich nicht weiter ausbreitet“, sagt der Grauhaarige. Ein 66-jähriger, von Morbus Bechterew gebeugter Mann hält ein kleines Pamphlet am Stock, das an die Moral jedes Einzelnen appelliert. Er sei ein Berliner Bunkerkind. „Wenn ich Sirenen höre, habe ich das Gefühl, ich bin wieder im Krieg. So was vergisst man nie.“ Eigenwillig und bunt ist die Demonstration. Für jeden ist ein Spruch dabei. „Ich bin stolz auf dich, George, dein Adolf“ – „Die Achse des Bösen: Bush-Blair-Hussein“ oder einfach: „BL/USH!“ Soll heißen: Bush und Blair, errötet!

Die Abschlusskundgebung ist eine Mischung aus Musik und Speakers’ Corner. DGB-Chef Michael Sommer verspricht, dass die Gewerkschaft alle Demonstrationen gegen den Krieg unterstützen wird. „Generalstreik!“, brüllt einer, der sich dann als „Arbeitsloser“ outet. Studierende, KünstlerInnen, Geistliche, AmerikanerInnen, IrakerInnen sprechen für den Frieden. Ben Bella, früherer algerischer Staatspräsident, bringt ihre Hoffnungen auf den Punkt: „Wenn ich die vielen Menschen, die für den Frieden demonstrieren, sehe, dann weiß ich, dass Bush und Blair schon verloren haben.“