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Archiv-Artikel

Freispruch auch in den USA

Das Hamburger Urteil muss kein deutsch-amerikanisches Zerwürfnis bedeuten. Auch US-Gerichte sind längst nicht mehr bereit, bei Terrorprozessen einfach mitzuspielen, wenn zentrale Zeugen gesperrt werden

Mit dem Hamburger Urteil wird US-Gerichten mit ähnlichen Problemen der Rücken gestärkt

FREIBURG taz ■ Wird der Freispruch für Abdelghani Mzoudi die deutsch-amerikanischen Beziehungen belasten? Wird Deutschland nun – wie schon im Irakkrieg – als unzuverlässiger Freund dastehen? Ist die deutsche Justiz mit der Aufarbeitung der Anschläge von New York und Washington überfordert?

Diese Fragen werden derzeit eher in Deutschland als in den USA gestellt. Schon die Freilassung von Mzoudi im Dezember hat dort für wenig Aufregung gesorgt. US-Justizminister John Ashcroft zeigte sich auf Nachfrage „enttäuscht“, das war's. Vermutlich ist das Thema gerade wegen der inzwischen wieder erfolgten deutsch-amerikanischen Annäherung von der US-Regierung bewusst niedrig gehängt worden.

Der Dumme ist nun Kay Nehm, der Generalbundesanwalt. Er ließ sich mit zwei schwachen Anklagen in die Prozesse gegen Mounir al-Motassadeq und Abdelghani Mzoudi, die beiden angeblichen Terrorhelfer, schicken. Die Konstruktion „Freund = Mittäter“ stand aber von vornherein auf dünnen Beinen. Es war klar, dass die vermeintlichen Terrorbeiträge – kleine Gefälligkeiten wie die Überweisung von Semestergebühren an die Universität – nur zur Bestrafung führen konnten, wenn die beiden in die mörderischen Anschlagspläne wirklich eingeweiht waren.

Es hätte also passieren können, dass schon der erste Prozess gegen al-Motassadeq vor einem Jahr mit einem Freispruch endete. Dass das Hamburger Oberlandesgericht 15 Jahre Haft verhängte, mag wohl an der weltpolitischen Lage kurz vor dem Irakkrieg gelegen haben. Manchmal schieben Richter aber die Verantwortung für unpopuläre Freisprüche einfach in die nächsthöhere Instanz ab und hoffen, dass sich bis zur endgültigen Entscheidung die Atmosphäre etwas beruhigt. Falls das die Kalkulation der Richter war, könnte sie durchaus aufgehen. Am 4. März wird der Bundesgerichtshof über die Revision entscheiden. Es spricht viel dafür, dass er das Hamburger Urteil kippt.

Nicht anzulasten ist Kay Nehm allerdings das Desaster um die Zeugenaussage des von den USA inhaftierten Mittäters Ramsi Binalshibh. Dessen Sperrung durch die USA konnte der Generalbundesanwalt beim besten Willen nicht voraussehen. Als Nehm im August 2002 seine Anklage gegen al-Motassadeq vorstellte, war Binalshibh schließlich noch ein freier Mann, er wurde erst im September in Pakistan festgenommen.

Außerdem war Binalshibh keineswegs ein typischer Zeuge der Verteidigung. Es hätte gut sein können, dass die USA Verhörprotokolle zur Verfügung stellen, in denen die Angeklagten belastet werden. Dann aber wäre schnell die Frage aufgetaucht, ob Binalshibh in den USA unter unzulässigem psychischem oder anderem Druck steht.

Selbst die jetzt per BKA-Fax eingeführte Aussage einer geheimnisvollen Auskunftsperson (wahrscheinlich Binalshibh), dass Mzoudi und al-Motassadeq an der Anschlagsplanung nicht beteiligt waren, war für sich genommen keine überzeugende Widerlegung der Anklage. Schließlich wirkte es eher wie eine Schutzbehauptung unter Freunden, wenn als Mitwisser nur die Mitglieder der Hamburger Zelle aufzählt werden, die bei den Anschlägen am 11. 9. 2001 selbst ums Leben kamen.

Gewicht bekommen diese Aussagen vielmehr, weil es die USA überhaupt zuließ, dass ausschließlich diese entlastende Passage in den Prozess eingeführt wurde. In dem zwischen deutschen und amerikanischen Sicherheitskreisen genau abgestimmten Fax fand sich auch kein Hinweis, dass es unglaubwürdig sei. Man konnte den Eindruck gewinnen, die USA habe doch Skrupel, einen Unschuldigen verurteilen zu lassen. Schon deshalb kann der gestrige Freispruch kaum als antiamerikanische Geste gewertet werden.

Unangenehmer für die US-Administration ist sicher die Argumentation des Hamburger Gerichts, dass ohne Verhör des Zeugen Binalshibh die Wahrheitsfindung und damit auch eine Verurteilung massiv erschwert ist. Damit wird zugleich US-Gerichten mit ähnlichen Problemen der Rücken gestärkt. Auch ihnen werden Binalshibh und andere Zeugen vorenthalten. Vermutlich mussten die USA in Hamburg vor allem deshalb hart bleiben, weil sie ausländischen Richtern nicht mehr Informationen geben können als ihren eigenen.

Doch auch die US-Justiz ist immer weniger bereit, mitzuspielen. Eine Richterin in Virginia, die über den Fall Zacarias Moussaoui entscheiden muss, schloss die Todesstrafe aus, solange die US-Regierung zentrale Zeugen sperre. Moussaoui war kurz vom dem 11. 9. aufgefallen, weil er in einer Flugschule kein Interesse an Landemanövern zeigte.

Es spricht viel dafür, dass Abdelghani Mzoudi und auch Mounir al-Motasssadeq sogar vor US-Gerichten freigesprochen worden wären. Das Hamburger Urteil ist daher kein Grund für deutsch-amerikanische Zerwürfnisse, sondern ein Bekenntnis zu gemeinsamen rechtsstaatlichen Werten. CHRISTIAN RATH