Die verrückten Skandinavier

Auf jedes „Humpta“ folgt der Absturz: Kaizers Orchestra gelten zurzeit als beste Liveband Norwegens. Ihr Konzert im Knaack fühlte sich aber leider hauptsächlich nach Bierzelt an

Was ist es nur, das vierzigjährige Angehörige der weißen Mittelschicht hierzulande immer wieder vor Freude auf die Schenkel klopfen lässt, wenn sich Künstler aus dem Norden Kulturtechniken aneignen, die sonst eher anderen Klimazonen vorbehalten sind? Was ist bloß so ungeheuer komisch an den Leningrad Cowboys zum Beispiel mit ihren großen Tollen und ihrer ironisch inszenierten Sehnsucht nach dem Wilden Westen? Warum hat hierzulande ein finnischer Musiker und Autor wie Mauri A. Numminen mit seiner großen Leidenschaft für den Tango so viel Erfolg? Warum liebt man Pippi Langstrumpf am meisten, wenn sie dem kalten Schweden den Rücken kehrt und ins ferne Taka-Tuka-Land segelt?

Und jetzt auch noch Kaizers Orchestra, eine Band aus Norwegen, angeblich noch vor den wunderbaren Kings Of Convenience oder Röyskopp die größte Exporthoffnung des Landes im Bereich Pop seit Aha. Die größte Liebe von Kaizers Orchestra: Polka. Deren größte Liebhaber: Deutsche um die vierzig, die es wahnsinnig witzig finden, wenn Leute aus Ländern, wo die Winter lang sein sollen, wo man bevorzugt Einsamkeitsgefühle und melancholische Gedanken vor sich hertragen soll, plötzlich zur Buddel greifen und mal richtig, wie es so schön heißt, den Bären tanzen lassen. So ist das Knaack an diesem Abend nicht nur gut voll, es fühlt sich an wie 15.000 Menschen auf zehn mal zehn Metern, die in dieser Dichte nicht nur neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit ausdünsten, sondern auch den Geruch von überreifem Camembert.

Schon als die bezaubernde norwegische Singer/Songwriterin Ane Brun ihr Vorprogramm antritt und einfach nur ihre poetischen Liedchen zum Vortrag bringen will, wackeln die anwesenden Damen und Herren folkloristisch mit mit den Hüften, schnalzen mit den Zungen und pfeifen begeistert, wie man halt zur Polka so pfeift. Zugegeben: Als die sechs Mitglieder von Kaizers Orchestra die Bühne betreten, ist man zunächst hingerissen. Was für ein Martyrium, selbst bei dieser Hitze zumindest am Anfang noch schwarze Anzüge mit Schlips zu tragen.

Der Gitarrist ist charismatisch und auch zwanzig Jahre nach der Blütezeit von Bands wie Depeche Mode oder den Einstürzenden Neubauten ist es ja immer noch nicht unbedingt unlustig, auf der Bühne auf Altmetall herumzuklöppeln. Es ist nicht die Bühnenpräsenz dieser Band, die den Abend nicht zum glitzernsten Abend aller Zeiten macht, es sind ihre schwer stapfenden Rhythmen und ihr Hang zum ordentlich durchgehäkelten Kunsthandwerk.

Es ist, als wollten Kaizers Orchstra eigentlich ganz einfache, schöne Popmusik machen, als habe ihnen aber irgendein Musikmanager, der norwegische Musik als besonders exotisch verkaufen will, eingeflüstert, dass es dazu absolut notwenig ist, dem Ganzen etwas mehr Schräge einzuhauchen. Jede Dissonanz, die in den Ohren der begeisterten Knaackbesucher so schön verrückt geklungen haben mag, wirkt bieder und berechnet. Nach jedem „Humpta, humpta“, das manchmal bei den schlechtesten Stücken von Tom Waits und manchmal bei ödem Ska abgekupfert ist, folgt der zu erwartende Absturz. Zusehends sehnt man sich nach mehr Leichte, nach einer auch noch so winzigen Überraschung.

Am besten ist es wohl, man hört bei Kaizers Orchestra einfach nicht richtig hin und konzentriert sich nur auf ihre Show. Auf besagten Gitarristen zum Beispiel. Einfach toll, wie er auf die Monitore springt. Und wie er die Zigarette ein langes, elegisches Stück lang nicht aus dem Mundwinkel nimmt. Das drängt die selige Bierzeltatmosphäre, die ansonsten vorherrscht im Knaack, manchmal ganz gut zurück. SUSANNE MESSMER