: Pöbeln, Prügeln, Zeit totschlagen
Das 3001 widmet dem Israel-Palästina-Konflikt einen Filmschwerpunkt. Neben dem älteren „Life According to Agfa“ läuft die Dokumentation „Promises“ und als Hamburger Erstaufführung das Drama „Göttliche Intervention“
von URS RICHTER
Ein Araber schnippt einen Mirabellenkern aus dem Autofenster. Der Kern streift einen israelischen Panzer. Der Panzer detoniert. Mit einer solchen, nur vermeintlich lässigen Geste kontert Regisseur Elia Suleiman die Unterdrückung der Palästinenser. In einer anderen Szene seines Films schwebt das Porträt Arafats auf einem rosa Ballon über alle israelischen Militärkontrollen hinweg nach Jerusalem und bleibt am Felsendom hängen. Dort also, wo Scharons unsäglicher Auftritt vor zweieinhalb Jahren die Al-Aksa-Intifada provozierte. Oder: Die Pappkameraden, in deren Richtung eine israelische Einheit das Zielschießen trainiert, vereinen sich zur Hongkong-Action-Heroine im Palästinensertuch, an der alle Ballistik scheitert. Kugeln formieren sich um ihr Haupt zur Dornenkrone, bevor sie ploppend zu Boden gehen.
Diese Allmachtsphantasien sind in Göttliche Intervention ironisierend überzeichnet, erwachsen aber sind sie aus Zorn. Elia Suleiman, 1960 in Nazareth geboren, macht keinen Hehl aus seiner Verachtung für Israel. Im Film ausschließlich exekutiert durch dumpfe Rambosoldaten, blockiert die Willkür und Arroganz israelischer Politik nicht nur jede Normalisierung zwischen den Israelis und Palästinensern, sondern zerstört auch die innerarabischen sozialen Strukturen. Ein Grenzposten zwingt palästinensische Autofahrer, ihre Wagen wild zu vertauschen. Ein Liebespaar kann sich lediglich auf dem Parkplatz eines Kontrollpunkts treffen, weil sie nicht nach Jerusalem, er dagegen nicht nach Ramallah einreisen darf. Im arabischen Viertel in Nazareth haben die Nachbarn nichts Besseres mehr zu tun, als sich gegenseitig Müll in den Garten zu schmeißen. Pöbeln, Prügeln, Zeit totschlagen – in der Ohnmacht richtet Aggression sich gegen sich selbst.
Suleiman ist klug genug, seine Polemik als Kunst, nicht als politische Agitation zu formulieren. Als Flugblatt wäre der Film eine pubertäre Dummheit, tatsächlich aber findet er bitterlustige Allegorien, die jeder propagandistischen Vereinnahmung widerstehen. Der aufgeblasene Ballon-Arafat etwa ist eine grinsende Fratze, Zerrbild des Martyriums.
Gelungen ist der Film dennoch nicht. Suleiman wechselt nach Bedarf die Genreoptik zwischen Absurdem Theater, Actionposse und Melodram. Das ist gewitzt, mutig nicht. Es hätte dem Film gut gestanden, würde der Blick des Zynikers sich beizeiten zurückbiegen auf die eigene Position. Der Autor aber reserviert sich die Unantastbarkeit des melancholischen intellektuellen Poeten.
In Promises richtet B. Z. Goldberg den Blick buchstäblich auf sich selbst. Peinlicherweise just in dem Moment, in dem er gemeinsam mit israelischen und palästinensischen Jugendlichen das Ende seines Dokumentarfilmdrehs beweint, der allen in der Runde erst das Kennenlernen und neugierige Gespräche ermöglicht hatte. Die Vision eines Nahen Ostens, wie er sein könnte, wenn Kinder bestimmen dürften, packt die finale Einstellung des Films in ein noch tränenrührigeres Bild: Verquollene Säuglingsgesichter, mal von einer Kopftuchmama geherzt, mal von einem Schäfchenlockenpapa.
Die kitschige Wendung verdrängt die dokumentierten Realitäten. Über mehrere Jahre sind Goldberg und seine Co-Autorin Justine Shapiro nach Israel gefahren und haben dort lebende Kinder unterschiedlichster Herkunft beim Nachbeten, Infragestellen und Verteidigen ihrer Weltanschauung porträtiert. Jüdisch-orthodoxe Wichtigtuer, Rotzbengel in palästinensischen Flüchtlingslagern und naseweise Hamas-Gören. Ungebrochen spiegelt deren Kindersicht den religiösen und nationalistischen Irrsinn im Nahen Osten. Folgerichtig sind nach dem inszenierten Treffen im Film die Kontakte zügig wieder abgebrochen.
Göttliche Intervention: 3.–15.4., 20.30 Uhr + 6.–9.4., 22.30 Uhr; Promises: 3., 4. + 7.–9.4., 18 Uhr; Live According to Afga: 3.–5.4., 22.30 Uhr, 3001