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: Das Berlin der Nachkriegszeit: Dieter Meichsners eher historischer Roman „Die Studenten von Berlin“

Mit Moralismus kann man keine Politik machen

Die Teilung Deutschlands ist das Thema von Dieter Meichsner. In seinem letzten Roman, „Abrechnung“, befasste er sich damit, und auch in der von ihm konzipierten Fernsehserie „Schwarz Rot Gold“. Selbst in seinem Roman „Die Studenten von Berlin“, den er mit zarten 26 Jahren verfasste und der anlässlich seines 75. Geburtstages soeben wieder veröffentlicht wurde, ist das nicht anders.

„Die Studenten von Berlin“ ist geprägt von einem Dutzend von Handlungssträngen, Nebenfiguren werden in dem umfangreichen, doch nicht weitschweifigen Roman genau eingeführt, rasche Perspektivwechsel gelingen Meichsner ebenso, wie er die erlebte Rede beherrscht. Es geht um junge Erwachsene, die den Krieg überlebt haben. Zum Teil waren sie fanatisierte Nazis, zum Teil Verfolgte, und sie alle müssen sich zurechtfinden im Berlin der Nachkriegszeit. Sie haben Probleme in „der Zone“ und können bald – sofern sie das freie Wort schätzen – an der Ostberliner Humboldt-Universität, die damals noch „Universität Unter den Linden“ hieß, nicht mehr studieren. Denn dort werden sie von der FDJ unter Druck gesetzt. Daher wird im Westteil mit Begeisterung an einer neuen, der „Freien Universität“ gebaut. Verzweifelt, schließlich ernüchtert ist deren Verteidigung gegen Kommunisten und korrumpierte Geister. Doch zu Beginn der Fünfzigerjahre, lange vor ihrem dreißigsten Geburtstag, scheitern alle Aufrechten, die im Krieg und in der Nachkriegszeit die Wahrheit lieben lernten, an den Verhältnissen – und das kleine Mädchen, das schon zu Beginn des Romans den Krieg nicht verstand, bleibt klein und verrät am Ende ihre Berliner Frontkämpferfreunde, indem es in die Arme eines Wirtschaftswundergewinnlers flieht. Es siegt.

Hier haben wir die Krux dieses Romans – wo der Autor mit Abstand über die Verhältnisse schreibt, steht er über ihnen; doch wo er Partei ergreift, blühen die Klischees. Meichsner gelingen eindrückliche Schilderungen der frühen Nachkriegszeit und der widersprüchlichen Gefühle, die die Berliner den Befreiern entgegenbrachten. Auch beschreibt er den Neid der Berlinerinnen auf all jene, die im Westen Deutschlands lebten und weder unter Kadern noch unter der Berlinblockade leiden mussten.

Nachdem Meichsner aber schon fast im Reportagestil die Gründung der FU beschrieben hat, verliert er den Abstand, sein Engagement verschlechtert den Text. Professoren werden zu Heldengestalten, Frauen, die eben noch Erwachsene waren, werden zu Fräuleins mit Schmolllippen degradiert. Zugleich werden „die Russen“ und ihre deutschen Vasallen zu Feinden, in denen zwar Menschliches aufflackert, die doch letztlich willige Auftragserfüller bleiben. Die jungen Leute sind ihnen moralisch überlegen, daher machen sie auch das böse Spiel, das der Kalte Krieg auf westlicher Seite mit sich bringt, nicht mit – und scheitern. Sie müssen erkennen, dass ihr Moralismus keine Politik ist. Dennoch sind sie der Geschichte gewissermaßen überlegen.

Dieser Moralismus, der an frühe Blacky-Fuchsberger-Filme erinnert, ist Zeitkolorit. Ebenso das Gerede von „den Russen“ und die Überlegenheit dieser Generation gegenüber den nirgends erwähnten Emigranten. Sie passten nämlich nicht in das neue Deutschland, das sich Meichsners Studenten erhofft haben. Der Roman macht anschaulich, in welcher Stimmung die FU gegründet wurde, das ist sein Verdienst. Es macht ihn zugleich mehr zu einem historischen Dokument als zu großer Literatur.

JÖRG SUNDERMEIER

Dieter Meichsner: „Die Studenten von Berlin“, Schöffling & Co, Frankfurt/Main 2003, 496 Seiten, 26 €