: „Das Bett ist das Nest einer Menge von Krankheiten“, sagt Immanuel Kant
Aus Anlass seines 200. Todestags warnt der Königsberger Philosoph vor Faulheit als Quelle von Unmündigkeit
taz: Herr Professor Kant, der Spiegel hat vor kurzem die Schüler des Berliner Kant-Gymnasiums befragt. Kaum jemand wusste mit Ihnen als Namenspatron etwas anzufangen. Ist das ein Zeichen des alarmierenden Bildungsnotstands?
Immanuel Kant: Dass es so wenige Genies gibt, daran haben wohl die Schulanstalten und selbst die Regierung schuld. In der Schule herrscht ein Zwang, ein Mechanismus und ein Gängelwagen der Regeln. Das benimmt den Menschen oft alle Kühnheit, selbst zu denken – und es verdirbt die Genies.
Sie fordern also, …
… dass man das Kind, von der ersten Kindheit an, in allen Stücken frei sein lasse. Wenn es nur nicht auf eine Art geschieht, dass es anderer Freiheit im Wege steht.
Sie selbst kommen aus einfachen Verhältnissen, Ihr Vater war Handwerksmeister. Wie haben Sie es geschafft, zum Professor aufzusteigen?
Ich hatte mir die Bahn schon vorgezeichnet, die ich halten wollte: Ich würde meinen Lauf antreten und nichts sollte mich hindern, ihn fortzusetzen.
Soll das heißen, jeder ist seines eigenen Glückes Schmied?
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen gerne zeitlebens unmündig bleibt – obwohl die Natur sie längst von fremder Leitung freigesprochen hat. Es ist so bequem, unmündig zu sein.
Ihr Freund Johann Georg Hamann hat Ihnen vorgeworfen, Sie machten die Ohnmächtigen für ihre Ohnmacht selbst verantwortlich. Sind Sie auf dem sozialen Auge blind?
Es war eine Zeit, da verachtete ich den Pöbel, der von nichts weiß. Aber Rousseau hat mich zurechtgebracht. Ich lerne die Menschen ehren.
Auch gegenüber fremden Völkern neigen Sie bisweilen zu Überheblichkeit. Den Afrikanern haben Sie beispielsweise nachgesagt, sie hätten …
… kein Gefühl, welches über das Läppische stiege. Ja.
Die Araber dagegen halten Sie für die „edelsten Menschen im Oriente“. Ist der Nahe Osten schon reif für die Demokratie?
Wenn Sie so fragen, tritt die Freiheit nie ein. Man kann zu ihr nicht reifen, wenn man nicht zuvor in Freiheit gesetzt worden ist. Man muss frei sein, um sich seiner Kräfte in der Freiheit zweckmäßig bedienen zu können.
Und wenn es schief geht, wie zu Ihren Lebzeiten im Terror der Französischen Revolution?
Auch wenn die ersten Versuche roh sein werden und mit einem gefährlichen Zustande verbunden: Man reift für die Vernunft nie anders als durch eigene Versuche. Es gibt Hoffnung, dass ein allgemeiner weltbürgerlicher Zustand dereinst einmal zu Stande kommen werde.
Was ist, wenn die Natur diesen Zustand stört – mit Katastrophen wie dem jüngsten Erdbeben im Iran?
Der Mensch muss sich in die Natur schicken lernen. Es war nötig, dass Erdbeben bisweilen auf dem Erdboden geschähen. Aber es war nicht nötig, dass wir prächtige Wohnplätze darüber erbauten.
Wegen solcher Aussagen gilt Ihre Philosophie als kalt und abstrakt. Was hat Sie dazu getrieben, ein derart sprödes Buch wie die „Kritik der reinen Vernunft“ zu schreiben?
Ich wollte endlich den ganzen Umfang der reinen Vernunft vollständig und nach allgemeinen Prinzipien bestimmen.
Und was, wenn es nachher keiner versteht?
Die erste Betäubung, die eine Menge ganz ungewohnter Begriffe hervorbringen musste, wird sich verlieren. Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik. Unverstellte Achtung bewilligt die Vernunft nur demjenigen, was ihre öffentliche Prüfung hat aushalten können.
Gibt es denn gar nichts, was Ihr Herz bewegen kann?
Zwei Dinge erfüllen mein Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.
Warum der Himmel?
Die meisten Planeten sind gewiss bewohnt, und die es nicht sind, werden es dereinst werden.
Sie drücken sich oft sehr vorsichtig aus. Sagen Sie immer, was Sie wirklich meinen?
Niemals werde ich etwas sagen, was ich nicht denke – auch wenn ich vieles denke, was ich niemals den Mut haben werde zu sagen.
Können Sie niemals lachen?
Doch. Das Lachen ist immer Schwingung der Muskeln, die zur Verdauung gehören. Es befördert diese weit besser, als es die Weisheit des Arztes tun würde.
Die Verdauung?
Der Appetit verlangt im Alter, vornehmlich beim männlichen Geschlecht, derbere Kost und anreizendere Getränke – zum Beispiel Wein, um die wurmförmige Bewegung der Gedärme zu befördern und die Blutbewegung im Umlauf zu erhalten.
Sie selbst sind 80 geworden und waren nie ernsthaft krank. Wie haben Sie das gemacht?
Die Schonung der Kräfte und Gefühle im Alter ist Verzärtelung. Sie führt zum Erlöschen der Lebenskraft aus mangelnder Übung. Das Bett ist das Nest einer Menge von Krankheiten. Auch kann ich der Vorschrift nicht beistimmen: „Man soll Kopf und Füße warm halten.“ Ich finde es geratener, beide kalt zu halten. Gerade der Sorgfalt wegen, um mich nicht zu verkälten.
Sind Sie glücklich?
Der Begriff der Glückseligkeit ist so unbestimmt. Es ist nicht die ergötzlichste Lage, dass man unter den Lebenden nur noch geduldet wird. Hieran aber habe ich selber schuld: Warum will ich auch die Sterbelisten durch mein Beispiel in Verwirrung bringen?INTERVIEW: RALPH BOLLMANN