Total gestört?

Berliner Kinderärzte schlagen Alarm: Jedes vierte Kind ist schwer in seinen Fähigkeiten geschädigt. Eltern schuld

Jedes vierte der 450.000 Berliner Kinder bis 15 Jahre ist nach Ansicht von Kinderärzten entwicklungsgestört. „Eltern sind immer weniger in der Lage, ihre Kinder anzuregen und zu fördern“, meinte am Mittwoch der Arzt Ulrich Fengeler, Sprecher des Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands. Über 25 Prozent der Berliner Kinder erhalten bis zum 15. Lebensjahr eine medizinisch verordnete „Entwicklungstherapie“, doppelt so viele wie in Bayern.

Die Kinder- und Jugendärzte Berlins sehen zunehmende Fehlernährung, Hypermotorik, Störungen der Konzentrationsfähigkeit und eine Verschlechterung der motorischen, sprachlichen und geistigen Fähigkeiten bei den Berliner Kindern. Jedes dritte bis vierte Berliner Kind müsse von Ergotherapeuten, Logopäden und Krankengymnasten betreut werden, sagte Fengeler. Dabei handele es sich nicht um spastische, körperbehinderte oder hirngeschädigte Kinder.

Die Kinderärzte bestätigen die Ergebnisse der ärztlichen Schuleingangsuntersuchung Berlins, wonach ein größerer Teil der Sechsjährigen erhebliche Entwicklungsdefizite aufweisen. Fast die Hälfte der türkischen Kinder könne nicht ausreichend Deutsch, um dem Unterricht zu folgen, teilte die Senatsgesundheitsbehörde nach Auswertung der Einschulungsuntersuchung von 28.000 Kindern mit. „Wenn in den Familien nichts stattfindet, ersetzt der Fernseher die Anregung“, gab Fengeler zu bedenken. Er zitierte eine Untersuchung aus den USA, wonach ein Kind aus einer „bildungsnahen“ Familie 1.800 Stunden vorgelesen bekommt, eines aus einer „bildungsfernen“ Familie hingegen nur 26 Stunden.

Als Grund für die sozialen Störungen sieht der Verband eine um sich greifende Störung der Familiengemeinschaft, eine zunehmende Erziehungsinkompetenz von Eltern und einen Ausbildungsmissstand in den Schulen. In Berlin können Ärzte eine Art Milieutherapie mit 40 Übungsstunden verschreiben.

Mit dem Abbau der sozialen und körperlichen Defizite sind laut Fengeler die Ärzte letztlich überfordert. Sein Verband unterstützt mit zwei Berliner Bezirken und zwei Krankenkassen den Aufbau von Modellkitas. DPA