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Archiv-Artikel

BGS jagt Stromräuber. Es geht um 5 Cent

Wie ein Greenpeace-Aktivist einmal seinen Laptop im Bahnhof anschloss und wie dann der Polizeiapparat ansprang

FRANKFURT/MAIN taz ■ Herr Jan Michael Ihl wohnt in Trier, ist Aktivist bei Greenpeace und fährt – besser: fuhr – gerne Bahn.

Am 20. November 2003 fuhr Herr Ihl wieder einmal mit dem Zug: schön an Mosel und Rhein entlang und dann über Frankfurt am Main mit dem ICE nach Kassel. Es war gegen 23.30 Uhr, als Herr Ihl mit seinem gewaltigen Treckingrucksack den ICE verließ und sich im sauber und leer gefegten Fernbahnhof Wilhelmshöhe noch einmal die Adresse des Tagungshotels anschauen wollte – auf dem Laptop.

Der Akku war leer. Doch die Rettung hing in Form eines Stromkabels mit Steckdose von der Decke, über das am Tag wohl ein Fressbüdchen seine Energie bezog. Herr Ihl hängte flugs seinen Akku dran; und schwuppdiwupp! war der geladen – und Herr Ihl auch. Grenzschutzbeamte hatten ihn eingekesselt.

Sie behaupteten zunächst, er habe seinen eigenen Rucksack gestohlen. Doch Herr Ihl konnte all die Dinge rasch benennen, die darin waren. Herr Ihl triumphierte zu früh. Man schleppte ihn auf die Wache und warf ihm jetzt vor, sein eigener Laptop geklaut zu haben. Herr Ihl verlor die Fassung, nicht jedoch die Erinnerung an sein Passwort und die gespeicherten Dateien.

Herr Ihl durfte gehen. Die Langeweile hielt wieder Einzug im Revier. Wochen später bekam Herr Ihl Post von der Bundesgrenzschutzinspektion Kassel, respektive von deren Sachbearbeiter Brandt (PHM: Polizeihauptmeister). Der teilte Herrn Ihl mit, dass der Bundesgrenzschutz (BGS) gegen ihn ein polizeiliches Ermittlungsverfahren eingeleitet habe, weil er im Verdacht stehe, im Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe folgende Straftat begangen zu haben: „§ 242, § 248c Diebstahl, Entziehung elektrischer Energie (verbotene Stromentnahme).“

Herr Ihl wird dann Gelegenheit eingeräumt, zu diesem Vorwurf Stellung zu beziehen. Sollte er aber bis Ende Januar nicht geantwortet haben, gehe Herr PHM Brandt davon aus, dass er – Herr Ihl – von seinem „Äußerungsrecht“ keinen Gebrauch machen wolle. „In diesem Fall machen wir Sie darauf aufmerksam, dass eine weitere Bearbeitung nach hiesiger Aktenlage erfolgt. Die Ermittlungsakten werden dann der zuständigen Staatsanwaltschaft übersandt.“

Herr Ihl – Energiespezialist bei Greenpeace – machte keinen Gebrauch von seinem „Äußerungsrecht“. Er rechnete statt dessen den Preis für den von ihm verbrauchten Strom aus: 5 Eurocent. Also etwa ein Zehntel der Portokosten für das Schreiben des BGS an den Herrn Ihl. Den Schriftsatz übergab er seinem Anwalt.

Karlheinz Clobes, Sprecher der Bundesgrenzschutzinspektion in Kassel, zweifelt auf Nachfrage zunächst den ganzen Sachverhalt an und fühlte sich „auf den Arm genommen“. Lange braucht er dann aber nicht für die Recherche im eigenen Haus. Kein Witz also. Und Clobes wird ernst: Der Kollege Brandt, sagt er jetzt, habe doch „nur seine Pflicht getan“ und nach der Feststellung einer Straftat durch die Kollegen vom Bahnhof das „zwingend gebotene Ermittlungsverfahren“ eingeleitet. Die Höhe des Schadens spiele dabei keine Rolle.

Herr des Verfahrens sei jetzt ohnehin die Staatsanwaltschaft, die durchaus die Möglichkeit habe, die ganze Angelegenheit mit einer „Einstellung wegen Geringfügigkeit“ zu beenden. Die Frage, ob das gesamte Verfahren in irgendeiner Relation zu den 5 Eurocent stehe, mit denen sich die „verbotene Stromentnahme“ des Herrn Ihl monetär bewerten lasse, beantwortet Clobes nicht mehr.

Clobes will auch nicht darüber philosophieren, ob nicht der Eigentümer des Bratwurststands, der schließlich den Strom, den Herr Ihl entzogen hat, mit seiner Stromrechnung bezahlen müsse, der eigentlich Geschädigte und damit auch der eigentlich Klageberechtigte gewesen sei. Und ob Herr Ihl nach einer strafrechtlichen Verurteilung vielleicht noch mit einer zivilrechtlichen Schadenersatzklage durch Bahn AG oder den Bratwurststandbetreiber zu rechnen habe.

So oder so. Die Bahn AG hat ein neues Imageproblem: den von Innenminister Otto Schily (SPD) geleasten und auch noch teuer bezahlten BGS, Jäger der nächtlichen Energiehinterzieher. KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT