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Archiv-Artikel

Und es werde Licht

Heiliger Vater wird Franz Müntefering nicht gleich. Aber als neuer SPD-Vorsitzender soll er der Heilsbringer der Partei sein

AUS BERLIN JENS KÖNIG

An diesen Sound werden sich die restlichen 630.000 Sozialdemokraten in diesem Land jetzt gewöhnen müssen. „Die Gegenwartsinteressen haben immer eine stärkere Lobby als die Zukunftsinteressen. Aber Gegenwart wird Zukunft“, sagt Franz Müntefering. „Es ist nicht besonders ehrenhaft, zu sagen, das war so, das ist so und das muss auch so bleiben.“ Das ist noch so ein Satz von Müntefering. Oder auch dieser hier: „Nicht alles Wünschbare ist machbar.“

Das ist die Sprache des neuen SPD-Vorsitzenden. Kurze Sätze, einfache Wahrheiten, knappe Botschaften. Es steht nicht zu befürchten, dass die Genossen diese Sprache nicht verstehen, ganz im Gegenteil. Sie lieben sie, weil sie ihren Franz lieben. Ihren letzten Hoffnungsträger. Er ist einer von ihnen, und zwar von ihnen allen. Der Einzige, der die alte und die neue SPD verkörpert.

Das ist ja auch der Grund, warum Franz Müntefering an diesem Freitag um 13:30 Uhr im Saal der Bundespressekonferenz in Berlin sitzt, neben Gerhard Schröder, dem Kanzler. Seit einer Stunde schwirrte das Gerücht durchs politische Berlin, Schröder wolle den SPD-Vorsitz an seinen Fraktionschef im Bundestag abgeben. Jetzt ist der Moment gekommen, in dem diese, nun ja, schon irgendwie historische Entscheidung verkündet wird. „Ich habe für morgen den SPD-Vorstand einberufen lassen“, sagt der amtierende Parteivorsitzende Gerhard Schröder nüchtern. „Ich werde ihm vorschlagen, auf einem Sonderparteitag Ende März Franz Müntefering als Parteivorsitzenden zu wählen.“

Während Schröder diese Entscheidung verkündet, sieht Müntefering zum ersten Mal aus, als fühle er sich dem Gerd, seinem Chef, nicht nur gewachsen, sondern als spüre er deutlich, dass seine Autorität in der Partei mittlerweile größer ist als die von Schröder.

Das stimmt ja auch, und das weiß Schröder. Das ist einer der Gründe, warum er jetzt eine Machtkonstellation beendet, die er 1999, nach dem Rücktritt von Oskar Lafontaine, mit der entgegengesetzten Begründung angetreten hatte: die Konzentration von Parteivorsitz und Kanzlerschaft in einer Person. Schröder hatte damals nicht begeistert geschrien, als er auch noch SPD-Chef wurde. Aber es schien ihm, auch aus der historischen Erfahrung des Scheiterns von Helmut Schmidt 1982 heraus, unumgänglich. „Es gibt Situationen, in denen es einen objektiven Zwang zur Trennung der Ämter des Bundeskanzlers und SPD-Vorsitzenden gibt“, sagt Schröder heute.

Ist das Panik? Spricht daraus Verzweiflung angesichts historisch niedriger Umfragewerte für die SPD? Ist das der letzte Rettungsring, um die erschöpfte Partei vor dem Ertrinken zu retten? Schröder sieht das naturgemäß nicht so dramatisch, jedenfalls tut er so. Er redet vom „wichtigsten Reformprozess der Nachkriegsgeschichte“. Er spricht davon, dass er sich dieser Erneuerung des Landes verpflichtet fühle. Er räumt „besondere Vermittlungsschwierigkeiten“ dabei ein. Ihm fehle für all das schlicht die Zeit, sagt er.

Schröder sieht sich als Bundeskanzler, Chefreformer und Chefaußenpolitiker. Den Chefparteichef soll jetzt Müntefering geben. „Arbeitsteilung“ nennt Schröder das. Müntefering und er hätten darüber schon seit längerer Zeit diskutiert. Wann genau in diesen Tagen die Entscheidung gefallen ist, dazu sagt Schröder nichts. Einen historischen Rückzug vom Amt des SPD-Vorsitzenden als reines Zeit- und Organisationsproblem zu verkaufen – nicht schlecht. „Sie werden sich vorstellen können, dass ich das Amt, das ich gerne ausgeführt habe, ungern aufgebe“, schickt Schröder noch hinterher.

Jetzt also Müntefering. Er habe „nie gedacht“, einmal SPD-Vorsitzender zu werden, sagt er. „Auch vor kurzem hatte ich das noch nicht im Kopf.“ Seit Januar habe er mit Schröder darüber diskutiert. Dann immer wieder kurze Ansagen von ihm: Der Reformprozess nimmt das ganze Jahrzehnt in Anspruch. Die SPD regiert, also ist Regieren die Hauptsache. Es muss Schluss sein mit dem Gerede übereinander. Das Miteinander ist wichtig, das hat schon Ferdinand Lassalle 1863 gesagt.

Das hört sich fröhlich an, aber Müntefering meint es knallhart. In einem Nebensatz gibt er bekannt, dass Olaf Scholz nicht länger SPD-Generalsekretär bleibt. Über dessen Nachfolger verrät er nichts. Nur so viel: „Ich weiß, wer es werden soll.“ Kurze Pause. „Ich weiß, wer es werden wird.“

Müntefering will nicht, dass sich die SPD Illusionen macht. Er macht sich auch keine. Er ist jetzt Partei- und Fraktionschef. „Ich werde mich anstrengen müssen“, sagt er. Nein, einen Autoritätsverlust des Kanzlers befürchte er nicht. Die Trennung der Ämter „kann eine vernünftige Konstellation sein“. Kann – muss also nicht.

Müntefering kommt aus kleinen Verhältnissen. Der Partei verdankt er alles. Der SPD-Vorsitz? „Das schönste Amt nach dem Papst“, sagt er.

„Das kann man so oder so sehen“, antwortet Schröder und lacht.