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Archiv-Artikel

Mama nicht anzeigen

Gestern beschlossen alle Fraktionen die Einführung von Kinderrechten in die Bremer Landesverfassung. Das feierten Grundschüler mit Erdbeersekt und Schokoküssen in der Bürgerschaft

taz ■ Chris forderte gleich „mehr Negerküsse“. Kein Problem: Seine Klasse, die 3 D der Grundschule Wigmodistraße, war gestern in die Bürgerschaft eingeladen – und es gab Erdbeersekt und Süßkram en masse. Der Grund: Alle Fraktionen beschlossen gestern einen Antrag der Grünen, Kinderrechte in die Bremer Landesverfassung aufzunehmen. In Paragraph 25, Absatz 1 heißt es jetzt: „Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit.“

Seit Monaten behandeln die Kleinen ihre Rechte im Unterricht. Chris (9) weiß: „Kinder schlagen ist verboten. Außerdem sollen wir unsere Meinung sagen.“ Wer sich in der Klasse prügelt, muss jetzt eine Seite lang „Entschuldigung“ oder „ich habe dich lieb“ schreiben. Das hat die 3 D so beschlossen.

„Es fing damit an, dass unsere Lehrerin Plakate aufgehängt hat, auf denen unsere Rechte standen“, erzählt Lena (8): „Zum Beispiel dürfen wir entscheiden, was wir anziehen. Manchmal möchte ich einfach rote Socken tragen.“ Ihre Freundin Rebecca (10) fügt hinzu: „Kinder haben auch das Recht auf beide Elternteile.“ Deswegen hat sie nach ihrem Vater gefragt: „Getroffen habe ich ihn noch nicht, weil wir nicht wissen, wo er ist. Aber es war toll, dass mir meine Mutter erzählt hat, wie er aussieht.“ Der neunjährige Hakan weiß: „Meine Mutter wollte mich mal schlagen, aber angezeigt habe ich sie nicht, weil ich sie nicht ins Gefängnis stecken möchte.“

In der Klasse haben die Kinder jetzt das Kommando übernommen: Lena findet das „Umsetzrecht ganz toll“. Jede Woche dürfen sich die Knirpse entscheiden, neben wem sie sitzen. Freitags werden zudem Beschwerden diskutiert. Im Bestrafen sind sie rigoros: Wer über Tische krabbelt, muss eine Stunde nachsitzen.

Auch mit dem Gesetz der Großen kennen sie sich jetzt aus. Sie wissen, was gemeint ist, wenn von Entfaltung der Persönlichkeit und Schutz vor Ausbeutung die Rede ist. „Ich entfalte meine Persönlichkeit, indem ich entscheide, was ich essen möchte und die Tapete in meinem Zimmer aussuche“, erklärt der neunjährige Dani. „Wenn ich etwas gegen meinen Willen machen soll, dann ist das Ausbeutung“, sagt Lena. „Ich sage das dann meinen Eltern oder hole woanders Hilfe.“ Rebecca empfindet es sogar als Ausbeutung, wenn sie zum Einkaufen geschickt wird, obwohl sie lieber spielen würde. Wichtig sei dann eins: Über den Ärger reden. Ya Ming Li