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Archiv-Artikel

„Ich bin noch auf der Suche“

Hans-Christian Schmid

„In meiner Geburtsstadt Altötting in Südostbayern leben 10.000 Einwohner. Auf die kommen 25 Kirchen und eine Million Pilger im Jahr. Im Vergleich zu Altötting ist sogar München eine große Stadt“„Wie Berlin ist auch München eine Stadt der Gegensätze. Da gibt es auch das Hasenbergl und Neuperlach. Aber in München kriegt man den Hintern nicht hoch, man geht da nicht hin. In Berlin ist das anders“

Mit „Lichter“, dem Episodenfilm über die deutsch-polnische Grenze, hat Hans-Christian Schmid auf der letzten Berlinale Erfolge gefeiert. Ohne vorher von München nach Berlin gezogen zu sein, sagt er, hätte er den Film nicht drehen können. So wie man von München an den Starnberger See oder nach Italien fährt, fährt man von Berlin an die Ostsee oder nach Polen. Nun arbeitet der 38-Jährige, der schon mit „23“ und „Crazy“ auf sich aufmerksam gemacht hatte, an einem lang gehegten Wunschtraum: der Verfilmung des sorbischen Sagenstoffs „Krabat“. Noch ist allerdings nicht entschieden, ob „Krabat“ in der Vergangenheit oder in der Gegenwart spielt. Nur eins ist sicher: Es soll nicht wie Harry Potter werden

INTERVIEW VON JÖRN KABISCH UND UWE RADA

taz: Herr Schmid, wann waren Sie zuletzt in München?

Hans-Christian Schmid: Vor drei Wochen, bei der Verleihung des Bayerischen Filmpreises.

Ein schöner Anlass.

Ja, wir haben für „Lichter“ zwei Preise bekommen, den Preis für das beste Drehbuch und den Produzentenpreis.

War das auch eine Rückkehr in die Heimat? München ist die Stadt, in der sie lange Zeit gelebt haben.

Natürlich gibt es bestimmte Personen und auch Orte in der Stadt, die ich mit den 15 Jahren verbinde, in denen ich in München gelebt habe. Für mich macht sich Heimat in erster Linie daran fest, wo die Leute leben, die mir etwas bedeuten. Ein Teil dieser Menschen lebt noch in München, ein anderer Teil lebt in Berlin. Und dann gibt es ja auch noch die Leute aus Altötting, wo ich geboren wurde und zur Schule gegangen bin.

Wo, um Herrgotts willen, liegt Altötting?

In Südostbayern, zehn Kilometer von der Grenze zu Österreich entfernt. Ein Wallfahrtsort mit 10.000 Einwohnern, 25 Kirchen und einer Million Pilger pro Jahr.

Deswegen der Umzug ins gottlose Berlin.

Halt, so schnell ging das nicht. Erst bin ich von Altötting nach München. Das ist ja auch ein bisschen die Geschichte der Anna aus meinem Film „Nach fünf im Urwald“. Aus der Perspektive von Altötting kommt einem München schon vor wie eine große Stadt. Nach 15 Jahren ist es dann auch nicht mehr so schwer, von München nach Berlin zu ziehen.

Warum wollten sie nach Berlin? Um irgendwann einmal nicht mehr der Letzte zu sein?

Als ich 2000 kam, war dieser Berlin-Hype schon wieder abgeebbt. Es war eher so, dass ich neugierig auf die Stadt war, neugierig darauf, hier einmal zu leben und nicht immer nur hierher zu kommen, weil Berlinale ist oder weil man hier eine Woche lang was zu tun hat. Man lernt eine Stadt einfach anders kennen, wenn man hier wohnt und sich nicht immer nur im Ausnahmezustand befindet.

Was haben Sie vorgefunden? Noch immer den Ost-West-Konflikt, oder auch schon das Zusammentreffen von „altem“ und „neuem“ Europa?

Es fällt mir schwer, Antworten zu geben, die alle anderen nicht auch schon gegeben haben. Natürlich hat Berlin mehr Kontraste als München, aber auch schon da tappt man in ein Klischee. Wenn ich in München meinen Hintern hochbekomme und ins Hasenbergl gehe oder nach Neuperlach, dann sehe ich die Kontraste genauso.

Warum macht man das in München nicht?

Gute Frage, kann ich nicht beantworten, ich hab’s nicht gemacht. In Berlin dagegen ist man schnell am Bahnhof Warschauer Straße und in einer anderen Welt.

Sie haben gesagt, sie hätten einen Film wie „Lichter“ in München nicht drehen können. Warum?

Natürlich kann man auch von München nach Frankfurt (Oder) fahren. 600 Kilometer, sieben Stunden, kein Problem. Ich hab’ es nur nicht gemacht, weil ich nicht auf die Idee gekommen bin. Vielleicht schien es mir auch weiter von meinem Alltag entfernt als in Berlin. Hier haben meine Freundin und ich mal einen Wochenendausflug unternommen und gestaunt, wie schnell man in Polen ist. Ich war vorher noch nie in Polen. So wie man in München am Wochenende an den Starnberger See oder nach Norditalien fährt, fährt man von Berlin an die Ostsee oder nach Polen.

An der deutsch-polnischen Grenze ist Ihnen dann die Idee zu „Lichter“ gekommen?

Nicht direkt. Ich bin kein Autor, der durch die Straßen, durch die Gegend läuft, die Inspirationen aufsammelt und sich zu Hause hinsetzt und das zu Geschichten formt. Wenn ich mir Geschichten einfallen lasse, passiert das eigentlich am Schreibtisch. Dann erst gehe ich los und überprüfe die Ideen in der Wirklichkeit. Im Falle von „Lichter“ war neben dem Ausflug nach Frankfurt (Oder) ein Zeitungsartikel ausschlaggebend, in dem von einer Flüchtlingsgruppe die Rede war, die vor der deutschen Grenze ausgesetzt wurde.

War von vorneherein klar, dass die Geschichte in Frankfurt und Słubice spielen würde?

Nicht unbedingt. Aber wir haben sofort gespürt, dass das ein außergewöhnlicher Ort ist. In Görlitz hätte man einen solchen Film nicht drehen können.

Dieser Ort ist freilich verschieden interpretierbar. Sie machen einen Film über ein Flüchtlingsdrama an der EU-Außengrenze. Andreas Dresen zeigt in „Halbe Treppe“ ein provinzielles, aber durchaus sympathisches Frankfurt.

„Lichter“ ist ja nur äußerlich ein Film über die EU-Außengrenze. Es ist auch ein Film über fünf Beziehungskonstellationen, wobei die Grenze sicher eine große Rolle spielt. Was auch noch dazukommt: Ich wollte schon immer mal einen Episodenfilm drehen. Das heißt, irgendwas musste diese Episoden zusammenhalten. Das war dann, nachdem mein Co-Drehbuchautor Michael Gutmann und ich den angesprochenen Zeitungsartikel gelesen haben, die Grenze.

Sie haben wie Andreas Dresen Dokumentarfilm studiert und sind dann in die Regie gewechselt. Warum?

Ich habe gemerkt, dass ich vom Dokumentarfilm kaum leben kann, obwohl ich an der Filmhochschule München nur Dokumentarfilme gemacht habe. Aber noch während ich an einem Film über eine innerkirchliche Sekte, das „Engelwerk“, arbeitete, hat man mir angeboten, mal was zu schreiben. Da ist mir klar geworden, dass ich diesen Film nicht machen würde. Aber die Ausbildung bewahrt einen davor, Figuren zu entwickeln, die es gar nicht geben kann.

Sehen Sie sich da in einer gewissen Tradition, zum Beispiel in der des neuen britischen Films?

Ich mag viele Filme aus den Sechzigern oder Siebzigern, von Forman, Truffaut oder auch von Ingmar Bergman. Realistische Filme zu machen, heißt aber nicht, bestimmte andere Dinge auszuschließen. Was ist mit Filmen wie „Being John Malkovich“ oder „8 1/2“? Die würden dann unter den Tisch fallen? Es ist im Kino Platz für vieles. Ich bin da eher noch auf der Suche nach einer Linie, nach einem Thema für meine eigene Arbeit. Ich bin noch unschlüssig, ob ich in Zukunft lieber stark unterschiedliche Filme machen möchte, oder ob der Zuschauer möglichst wissen soll, was er bekommt, wenn er sich einen neuen Film von mir ansieht.

Was wird denn der neue Film von Hans-Christian Schmid sein?

Wir denken zusammen mit unseren Produzenten Claussen und Wöbke darüber nach, „Krabat“ zu verfilmen. Das wäre dann ziemlich genau das Gegenteil von einem Film wie „Lichter“.

Was reizt sie an „Krabat“, diesem sorbischen Sagenstoff?

Das ist mein Lieblingskinder- und -jugendbuch. Den Roman zu verfilmen ist wie ein Wunschtraum, den ich lange gehegt habe und den wir uns jetzt erfüllen können. Wir haben versucht, die Rechte zu bekommen. Die waren lange Zeit vergeben gewesen. Als wir sie bekommen hatten, war ich fast erschrocken.

Ist „Krabat“ nie verfilmt worden?

Es gibt einen alten tschechischen Zeichentrickfilm, der ganz schön ist. Dann gibt es noch einen DDR-Film aus den 70er-Jahren, der etwas seltsam ist, weil er versucht, die DDR-Marschrichtung in die Krabat-Geschichte zu bringen.

Sie drehen also immer noch die Filme, die sie selbst am liebsten sehen würden?

Ja, bestimmt. „Krabat“ ist aber auch ein Experiment für mich. Das hat mit den Sachen, die wir bisher gemacht haben, überhaupt nichts zu tun. Das merken wir auch bei der Treatmentarbeit. Da gibt es das nicht, was wir bisher hatten, zum Beispiel echte, lebendige Figuren, die sich beim Höhepunkt einer Geschichte gegenüberstehen und sich Wahrheiten oder Lügen ins Gesicht schreien. „Krabat“ ist eine seltsame, stark konstruierte Geschichte, bei der sich die Frage stellt, wie man einen 17-Jährigen inszeniert, der in einer Zaubermühle lebt, ohne dass das Ergebnis auch nur annähernd wie Harry Potter wird.

Hat die Geschichte schon Konturen?

Noch nicht. Wir lesen gerade viel über die frühe Neuzeit und machen uns Gedanken darüber, ob wir „Krabat“ in einem klaren historischen Kontext erzählen wollen, oder ob unklar bleiben soll, in welchem Land und welcher Zeit das genau spielt.

Auf welcher Berlinale wird der Film zu sehen sein?

Keine Ahnung (lacht). 2010 vielleicht.

Was bedeutet für Sie persönlich die Berlinale?

Vor allem in Bezug auf den deutschen Film hat die Berlinale mit Dieter Kosslick und Alfred Holighaus sehr gewonnen. Im Unterschied zu de Hadeln wissen die beiden, wer an welchen Filmen arbeitet. Sie kennen die Szene und verfolgen genau, was passiert.

Ist Berlin denn immer noch ein attraktiver Ort, um Filme zu machen und dafür auch Geld zu bekommen?

Im Zusammenhang mit der Umwandlung des Filmboards zum Medienbord wächst die Befürchtung, dass die Fördermittel gekürzt werden. Auf der einen Seite ist Berlin die Stadt mit der höchsten Dichte an jungen, kreativen Menschen, die Filme machen wollen, auf der anderen Seite stehen dafür nur bescheidene Fördergelder zur Verfügung. Für eine Berliner Firma, sei es nun eine etablierte wie X-Filme oder eine kleine Firma, ist es schwer, die Gelder zu bekommen, die man braucht, um hier einen Film zu drehen.