Mit der Vehemenz eines Schlechtgelaunten

Das fesselnde EM-Qualifikationsspiel zwischen England und der Türkei endet mit 2:0 und einem Schlagabtausch

SUNDERLAND taz ■ Alpay Özalan, der türkische Verteidiger, wollte das Spiel noch immer gewinnen. Auch wenn es schon vorbei war. Er prügelte sich mit Ray Clemence, dem Torwarttrainer der englischen Nationalelf, im Kabinengang. Dieses Spiel lebte in allen, die am Mittwoch zugesehen hatten, lange nach Schlusspfiff weiter. In denen, die es gespielt hatten, tobte es.

Hasan Sas wurde von einem Betreuer seiner Elf geohrfeigt; es schien die einzige Methode, Sas davon abzuhalten, auf Fans loszugehen. Steven Gerrard, der mit seinem Powerplay zum 2:0-Sieg in diesem Schlager der EM-Qualifikation getrieben hatte, stellte sich im Zentimeterabstand vor den türkischen Kapitän Bülent Korkmaz, um ihm ins Gesicht zu jubeln. Nichts ist größer als ein Match zwischen zwei Klasseteams, die beide mit solcher Macht gewinnen wollen, dass man glaubt, die Intensität knistern zu hören. Es war hart, aber kaum unfair, es war schnell, aber selten überdreht, und es war bezeichnend, dass die Partie nur aus Freude aus den Fugen zu geraten schien. Bei beiden Toren, dem 1:0 durch Ersatzstürmer Darius Vassell in der 75. Minute und dem 2:0 durch David Beckhams Elfmeter direkt vor Abpfiff, rannten Dutzende Fans auf den Platz. Ordner und Polizei wirkten auf frappierende Weise unvorbereitet, auch als nach dem Spiel Rabauken die Busse der türkischen Fans angriffen. Was für das Rückspiel im Oktober nur einen Schluss zulässt: die Organisatoren müssen dafür sorgen, dass keine englischen Fans anreisen. Denn in Istanbul wird wohl entschieden, ob sich England, das in der Qualifikationsgruppe sieben nun einen Punkt im Vorteil ist, oder die Türkei direkt für die Euro 2004 qualifiziert. Und es wird nicht immer glimpflich ausgehen, wenn die Emotionen so hoch fliegen. Hier waren zwei Teams, die mehr wollten als drei Punkte: Sie wollten sich was beweisen. Mit dem Lebenshunger des sozialen Aufsteigers suchte die türkische Elf nach ihrem dritten Platz bei der WM die Bestätigung, wirklich zu den Weltbesten zu gehören. Mit der Vehemenz eines Schlechtgelaunten wollte England zeigen, dass es noch wer ist. Ihren Führungsanspruch in der Welt des Fußballs haben in Sunderland beide untermauert; „gewonnen hat die Elf, die das heute mehr wollte: gewinnen“, gestand der türkische Trainer Senol Günes, „wir haben keine Antwort auf die englische Sehnsucht gewusst“. Die beste Form in den wichtigsten Spielen zu bringen, ist die Magie, die herausragende Teams von guten abhebt.

England ist dabei, diese Kunst zu erlernen. Nur einmal hat es in den zwei Jahren unter Trainer Sven-Göran Eriksson auf der großen Bühne versagt, beim 1:2 gegen Brasilien im WM-Viertelfinale, die besten Auftritte jedoch hob es für die Festtage auf.

RONALD RENG