Der tiefe Glaube an Franz Müntefering

Der baldige Parteichef kann im Moment machen, was er will – kein Genosse widerspricht ihm. Sein Aufstieg gilt als „Befreiungsschlag“

BERLIN taz ■ Klaus Uwe wer? Auch einen Tag nach seiner Nominierung können die meisten Genossen wenig mit der Person ihres neuen Generalsekretärs anfangen. „Benneter kenne ich nicht“, sagt ein erfahrener Sozialdemokrat aus Norddeutschland. Dass er nichts über den künftigen Organisationschef weiß, hindert den SPD-Veteranen jedoch in keinster Weise, die Personalwechsel an der Spitze wohlwollend zu kommentieren: „Wir finden die Entwicklung okay.“

Die Entwicklung – das heißt vor allem die Entwicklung vom Parteichef Schröder zum Parteichef Müntefering. Der Kanzler sei sowieso „ein Vorsitzender wider Willen“ gewesen, sagt der Kieler Genosse, „und“ – nun kommt der Satz, der ihm am wichtigsten ist, die Erklärung für das Wohlwollen, mit dem die bisher so frustrierte Basis plötzlich das Treiben in Berlin verfolgt: „Müntefering ist uns sehr sympathisch.“

Müntefering. Immer wieder Müntefering. Der nette Franz. Der fleißige Franz. Der bescheidene Franz. Der ehrliche Franz. Der waschecht sozialdemokratische Franz. Bei ihren Reaktionen auf die Beförderung des heimlichen Parteichefs zum offiziellen Parteichef dürften die prominenten und weniger prominenten SPD-Funktionäre an diesem Wochenende einen neuen Rekord im Aufzählen lobender Adjektive aufgestellt haben. So groß ist der Vertrauensvorschuss, dass es nicht einmal pathetisch oder gänzlich übertrieben klingt, wenn ihn der Bundestagsabgeordnete Dieter Wiefelspütz als „die Seele der Partei“ bezeichnet. Wenn er von einem „Befreiungsschlag“ spricht, den Münteferings Aufstieg bewirkt habe.

Zum ersten Mal seit langem ist den heimkehrenden Abgeordneten der SPD in ihren Wahlkreisen nicht nur Wehgeschrei über die Praxisgebühr und andere Zumutungen aus Berlin entgegengeschallt. Zum ersten Mal herrscht wieder so etwas wie Aufbruchstimmung. „Es gibt ein neues Wir-Gefühl“, sagt auch Juso-Chef Niels Annen, den das neue Führungsgespann mit dem 59-jährigen Schröder, dem 64-jährigen Müntefering und dem 56-jährigen Benneter zur Kritik an der ausbleibenden Verjüngung in der Parteiführung animieren könnte. Kritik? Ein Fremdwort, wenn es um Entscheidungen Münteferings geht. Deshalb spricht der Juso-Chef von einer „gelungenen Überraschung“.

Die Jusos werden Benneter unterstützen, sagt Annen. Sagen alle, zumindest öffentlich – auch die alten Rechten vom Seeheimer Kreis, denen die Berufung des früheren Bürgerschrecks Benneter innerlich gegen den Strich geht.

Müntefering hätte auch einen kommunistischen Bibliothekar aus Buxtehude als Generalsekretär vorschlagen können oder Dieter Bohlen – die Genossen hätten nicht widersprochen. Müntefering kann im Moment machen, was er will, er ist sakrosankt. Die Nominierung Benneters wurde am Samstag im SPD-Vorstand einstimmig angenommen. Die anschließenden Erklärungen der Vorstandsmitglieder sind bezeichnend für die neue Disziplin, aber auch für den tiefen Glauben an die Unfehlbarkeit von Franz Müntefering. Er kenne Benneter zwar nicht, gesteht Nordrhein-Westfalens SPD-Chef Harald Schartau, aber er „gehe davon aus, dass das schon in Ordnung ist“. „Ich glaube, dass das ein guter Vorschlag ist“, sagt auch Thüringens SPD-Chef Christoph Matschie. Nach den Gründen gefragt, antwortet er nur: „Ich glaube, über die Gründe muss der Vorsitzende Auskunft geben.“

Muss er nicht wirklich. Es reicht, dass Müntefering kurz Benneters „sehr solide“ Arbeit in der Bundestagsfraktion lobt und auf seine „große Erfahrung“ hinweist. Viel wichtiger jedoch, das gibt ein Insider offen zu, sei die Freundschaft Benneters mit Schröder – und die Tatsache, dass er den beiden starken Männern an der Spitze nicht gefährlich werden kann: „Er ist kein Konkurrent.“

Sigmar Gabriel zum Beispiel wäre ein Konkurrent gewesen – und kam auch deshalb nicht in Frage. Der geläuterte Linksaußen Benneter passt viel besser zu der Botschaft, die Müntefering und Schröder mit ihren Personalrochaden vermitteln wollen. Die verunsicherte Partei, insbesondere auch der linke Flügel, soll versöhnt und neu motiviert werden. Und es scheint so, als nähme es die Partei jetzt hin, dass sich an den bereits vorgenommenen, unpopulären Reformen nichts mehr ändert. Juso-Chef Annen dementiert, dass er einen Kurswechsel gefordert habe, und wünscht sich nur „eine andere Akzentuierung“ in der Zukunft. Statt der Einkommensschwachen müssten auch „die Reichen und Superreichen einen Beitrag leisten“. Ob es so kommt, ob die SPD das auch will, wird aber nur einer entscheiden: Müntefering. LUKAS WALLRAFF