: Das Parlamentsheer sichern
Der Bundestag muss weiter über Einsätze der Bundeswehr entscheiden. Der Streit um die Awacs-Einsätze in der Türkei hat gezeigt: Ein Entsendegesetz ist notwendig
Die Bundeswehr ist keine Exekutivarmee, sondern ein Parlamentsheer. Sie kann nicht von kühlen Militärstrategen nach eigenem Gutdünken hierhin und dorthin geschickt werden. Bundeswehreinsätze benötigen ein Parlamentsmandat. Deshalb ist die militärische Macht darauf angewiesen, dass ihre Anwendung öffentliche Zustimmung findet.
So hat es das Bundesverfassungsgericht 1994 bestimmt. Damals erlaubten die Richter einerseits weltweite Einsätze der Bundeswehr, andererseits verlangten sie die jeweils vorherige Zustimmung des Bundestags. Beides steht nicht im Grundgesetz, aber der Richterkompromiss befriedete einen langen innenpolitischen Streit.
Mehr als zwanzig Mal hat der Bundestag seither über Militäreinsätze beraten und den Anträgen der Bundesregierung immer zugestimmt. Business as usual ist diese Frage allerdings nicht. Für den Afghanistan-Einsatz musste Kanzler Gerhard Schröder – um die politisch wichtige „eigene Mehrheit“ zu bekommen – sogar die Vertrauensfrage stellen. Bei einer deutschen Beteiligung an dem Krieg im Irak hätte ihm vermutlich auch das nichts genützt. Damit ist der Parlamentsvorbehalt vielleicht sogar eine der Ursachen für Schröders Antikriegskurs.
Jetzt wird von CDU und FDP, mit unterschiedlichen Nuancen, ein Entsendegesetz gefordert, das die Parlamentszustimmung für Militäreinsätze näher ausgestaltet. Angefacht wurde die Diskussion durch die Weigerung des Bundesverfassungsgerichts, im Streit um die Awacs-Flugzeuge in der Türkei eine schnelle Entscheidung zu treffen. Aus der Union gibt es Vorschläge, die Parlamentsbeteiligung zu stutzen. Doch die vorgebrachten Argumente überzeugen nicht.
So wurde von Wolfgang Schäuble, dem außenpolitischen Sprecher der Fraktion, vor zwei Jahren gefordert, der Bundestag solle die Entsende-Entscheidungen ganz der Bundesregierung überlassen. Nur die Regierung sei so handlungsfähig, wie dies internationale Einsätze im Rahmen der Nato, der Europäischen Union oder von Ad-hoc-Koalitionen erforderten.
Die Praxis aber zeigt, dass die Parlamentsmitwirkung auch bei multilateralen Aktionen funktioniert. So stellt die Regierung eine Zusage im Nato-Rat eben unter den Vorbehalt, dass auch der Bundestag dem Einsatz noch zustimmen muss. Angesichts der deutschen Angriffskriege im letzten Jahrhundert muss man sich um Verständnis für eine gewisse militärpolitische Nachdenklichkeit unseres Landes wohl nicht sorgen. Der weltweit vorbildliche deutsche Modus könnte eines Tages sogar Modell für eine Regelung zugunsten des Europäischen Parlaments sein.
Der Justiziar der CDU, Ronald Pofalla, geht nicht so weit wie Schäuble, will aber die Bundestagszustimmung bei vermeintlich unwichtigen Fällen abschaffen, um das Parlament zu entlasten. So schlägt Pofalla – übrigens mit Zustimmung von Verteidigungsminister Peter Struck – vor, künftig die Mandate für die Bundeswehr nicht mehr auf sechs Monate oder ein Jahr zu befristen. So würde die Notwendigkeit einer regelmäßigen Verlängerung entfallen. Als Ausgleich will er dem Parlament das Recht geben, jederzeit die Rückkehr der Soldaten zu fordern.
Doch wo soll der von Pofalla geforderte Effizienzgewinn liegen, wenn eine kriegsskeptische Opposition jederzeit die Mehrheit in Debatten um die Rückholung von Truppen verwickeln könnte. Es steht vielmehr zu befürchten, dass diese Möglichkeit bald wieder gestrichen würde, vielleicht sogar vom Bundesverfassungsgericht selbst. Schon im Urteil von 1994 heißt es, der Bundestag dürfe nicht über die Dauer von Einsätzen mitbestimmen. Dies gehöre zum Eigenbereich der Regierung. Nur die Befristung der Mandate sichert deshalb den Einfluss des Bundestages verlässlich.
Problematisch ist auch Pofallas Vorschlag, die Mandate künftig so weit zu fassen, dass nicht „wegen jeder geringfügigen Veränderung“ des Einsatzes ein Beschluss im Bundestag erforderlich ist. Wie ein weites Mandat aussieht, haben wir bei der Bereitstellung deutscher Truppen für den Antiterroreinsatz „Enduring Freedom“ im Herbst 2001 gesehen. Als mögliches Einsatzgebiet für die Bundeswehr wurden dort neben dem Gebiet der Nato-Staaten auch „die Arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nordostafrika sowie die angrenzenden Seegebiete“ genannt, also fast der halbe Erdball. Heute stehen deutsche Spürpanzer in Kuwait und untersuchen die von irakischen Raketen verursachten Einschlagkrater. Auch diese Fast-Kriegsbeteiligung soll noch vom weiten Antiterrormandat gedeckt sein. So etwas muss eine Ausnahme bleiben.
Schließlich ist auch der Vorschlag abzulehnen, den Bundestag über geringfügige Mandatsänderungen nicht mehr abstimmen zu lassen. Denn sonst besteht die Gefahr, dass das Parlament zunächst über ein wohl klingendes Mandat befinden darf und später heikle Details von der Regierung als geringfügige Änderung nachgeschoben werden.
Einfache Modifikationen können im Bundestag schon jetzt schnell umgesetzt werden, wie ein Beispiel aus der letzten Woche zeigt. Da der Mazedonien-Einsatz inzwischen unter das Dach der EU gewandert ist, war ein Parlamentsbeschluss erforderlich, der binnen zwei Tagen eingeholt war. Mittwoch beriet das Kabinett, Donnerstag verwies der Bundestag die Sache in die Ausschüsse, am Freitag war der Beschluss fertig.
Trotzdem ist ein Entsendegesetz notwendig. Die Diskussion um den Awacs-Einsatz in der Türkei hat offenbart, dass kein verlässliches Kriterium besteht, ab welcher Intensität eigentlich ein zustimmungsbedürftiger Bundeswehreinsatz vorliegt.
Kanzler Schröder sprach von zustimmungsfreien „Routineflügen“, obwohl im Nachbarland ein Krieg heraufzog, an dem die Türkei auf die eine oder andere Weise beteiligt zu werden drohte. Vor dem Verfassungsgericht argumentierte die Bundesregierung sogar, der Bundestag müsse erst eingeschaltet werden, „wenn der Irak die Türkei angriffe“.
Solche Winkelzüge der Regierung darf es nicht geben. Der Bundestag darf nicht – absichtlich – erst dann eingeschaltet werden, wenn die Bundeswehr bereits in Gefechte verwickelt ist. Das Parlament könnte dann nur noch die von der Regierung erzeugten Sachzwänge zur Kenntnis nehmen. Die Bundeswehr wäre kein „Parlamentsheer“ mehr.
In einem Entsendegesetz sollte daher festgeschrieben werden: Der Bundestag muss jedem Einsatz deutscher Soldaten zustimmen, bei dem eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für den Einbezug in militärische Auseinandersetzungen besteht.
Eine derartige Regelung ist aus drei Perspektiven notwendig: erstens aus Sicht der Soldaten, deren Risiko vom Parlament frühzeitig abgeschätzt werden soll. Zweitens aus Sicht des Landes, das nicht unversehens in eine Kriegsbeteiligung hineinschlittern darf. Und schließlich auch aus Sicht des Bundestages selbst, der nicht erst gefragt werden sollte, wenn alles zu spät ist.
CHRISTIAN RATH