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Archiv-Artikel

An der Kanzlermehrheit sollt ihr sie erkennen

Gegen Schröders „Agenda 2010“ regt sich Widerstand in der SPD. Dass Reformbedarf besteht, zeigen die aktuellen Arbeitslosenzahlen

BERLIN taz ■ Gerüchte gibt es viele. „20 bis 30“ linke SPD-Abgeordnete, so wird in Berlin geraunt, wollen eventuell die „Agenda 2010“ des Kanzlers ablehnen. Vor allem die Kürzung des Arbeitslosengeldes für Ältere und die Reduzierung der Arbeitslosenhilfe sind umstritten.

Aber ob die Kanzlermehrheit von acht Stimmen am Ende tatsächlich gefährdet sein könnte, wagt niemand vorher zu sagen. „Da ist keine Prognose absehbar“, sagt etwa SPD-Vorstandsmitglied Hermann Scheer. Denn noch wird in diversen Kommissionen und mit dem grünen Koalitionspartner gerungen, wie das Kanzlerwort zu verstehen ist, dass die „Diskussion im Fluss“ sei und die „Details“ geklärt würden.

Doch wie immer das Verhandlungsergebnis über die Sozialreformen schließlich aussieht: Scheer bemängelt schon jetzt, dass sich die Linken stets in die Defensive drängen lassen. „Sie warten zu sehr, was kommt, statt eigene Initiativen zu entwickeln.“ Immer wieder würde man „nur reagieren und zum Nein gezwungen“.

Einigkeit besteht zwischen den Flügeln bisher nur in einem einzigen Punkt: dass Reformbedarf besteht. Dies machte auch die neueste Jobstatistik deutlich, die die Bundesanstalt für Arbeit gestern vorstellte. Danach hat die Zahl der Arbeitslosen im März zwar leicht um 98.300 abgenommen – der Arbeitsmarkt hat sich aber alles andere als entspannt. Saisonbereinigt stieg die Zahl der Arbeitslosen um 52.000. Insgesamt wurden 4,607 Millionen Menschen ohne Job gezählt, die Arbeitslosenquote lag bei 11,1 Prozent. Im Westen waren 8,8 Prozent der Erwerbspersonen arbeitslos, im Osten 19,6 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr gab es 451.900 Arbeitslose mehr.

Ein ungelöstes Problem ist die Jugendarbeitslosigkeit: Ende März waren 561.800 Arbeitslose jünger als 25 Jahre, dies sind 56.700 mehr als vor einem Jahr. Geradezu dramatisch wird es für die Jugendlichen, die noch einen Ausbildungsplatz suchen: 190.000 offenen Stellen stehen 331.000 Bewerber gegenüber.

Gleichzeitig ernüchtert die Bilanz der neuen Arbeitsmarktinstrumente. So wurde vor einem Jahr der „Vermittlungsgutschein“ eingeführt. Arbeitslose sollten sich an private Vermittlungsagenturen wenden können. Bis Ende Februar wurden 258.000 Gutscheine ausgegeben, aber nur 16.000 Arbeitslose fanden dadurch einen Job.

Ähnlich enttäuschend verläuft das Programm „Kapital für Arbeit“, das Wirtschaftsminister Wolfgang Clement mit großer Euphorie aufgelegt hat. Danach können Betriebe zinsverbilligte Kredite in Höhe von 100.000 Euro für jeden eingestellten Arbeitslosen beantragen. Bisher wurden dadurch erst 2.000 Jobs geschaffen; Clement hatte bis Ende 2003 mit 50.000 gerechnet.

Und dann sind da noch die Personal-Service-Agenturen, die befristet Leiharbeiter vermitteln sollen. Auch hier hat man die Ansprüche heruntergeschraubt. Inzwischen wären die Arbeitsämter schon glücklich, wenn sie damit 60.000 Arbeitslose unterbringen könnten. ULRIKE HERRMANN