: Ausschluss aus dem Kollektiv
Txerokis Strategie war einfach: Die baskische Separatistenorganisation ETA muss Stärke beweisen. Doch intern mehren sich die kritischen Stimmen
MADRID taz ■ Am 30. Oktober 2008 zündete die ETA eine Autobombe in der nordspanischen Universität von Navarra. Dabei waren wie durch ein Wunder nur Leichtverletzte zu beklagen. Die ETA hatte zwar vor dem Sprengsatz gewarnt, doch die Ortsangaben stimmten nicht. Die wohl spektakulärste Aktion gelang den Kommandos des jetzt verhafteten ETA-Militärchefs Txeroki allerdings am 21. September. In nur 24 Stunden verübten sie drei Anschläge: Eine Autobombe wurde vor einem Kommissariat der Baskenpolizei Ertzaintza gezündet, eine weitere vor dem Sitz einer der größten baskischen Sparkassen und eine dritte vor einer Militärakademie. Nur zweimal in ihrer Geschichte hatte die ETA eine Attentatswelle innerhalb eines so kurzen Zeitraums bewerkstelligen können: 1987 in Madrid und 2002 in Sevilla.
Die Anschläge können jedoch nicht über die innere Zerrissenheit des radikalnationalistischen Lagers hinwegtäuschen. Die Stimmen der Dissidenten werden immer lauter, seit die ETA im Juni 2007 nach 14 Monaten den „permanenten Waffenstillstand“ brach und den Verhandlungsprozess mit der spanischen Regierung beendete.
„Wir können nicht glauben, dass Ideen und Praktiken, die zu einer Selbstisolierung als Gruppe führen, die richtige Strategie sind“, heißt es in einem offenen Brief der beiden ETA-Mitglieder Joseba Urrusolo und Carmen Guisasola aus dem Gefängnis in Cordoba. In dem Schreiben, das Ende September in der Tageszeitung Gara veröffentlicht wurde, verteidigen beide eine Dialoglösung.
Nicht zum ersten Mal melden sich namhafte Gefangene zu Wort. Immer wieder zirkulieren Diskussionspapiere unter den über 700 Inhaftierten der ETA und ihres Umfelds, die ein Ende des bewaffneten Kampfes fordern. Die ETA-Führung reagiert auf Kritik mit Härte. Zwei ehemalige Führer wurden aus dem Gefangenenkollektiv ausgeschlossen.Urrusolo und Guisasola kamen dem zuvor, indem sie den Austritt erklärten.
Unter den Gefangenen machte sich bereits während der Dialogphase Unmut breit. Denn anders als bei früheren Gelegenheiten hatte die ETA die Freilassung von Inhaftierten nicht zum Gegenstand der Verhandlungen gemacht. Innerhalb wie außerhalb der Gefängnismauern wurde dies von manchen als Beweis genommen, den Separatisten sei es nicht wirklich ernst mit einem Ende der Gewalt. „Als wir in den 80ern den Ausstieg verhandelten, stand die Frage der Wiedereingliederung der Gefangenen ganz oben auf der Tagesordnung“, wunderte sich Eduardo Uriarte, ehemaliges Mitglied des aufgelösten militärischen Flügels der ETA.
Auch im ETA-Umfeld wurden nach Ende des Waffenstillstandes kritische Stimmen laut. So verlangten bei internen Diskussionen der seit 2003 verbotenen ETA-nahen Partei Batasuna einige Mitglieder ein schnelles Ende der Gewalt. Der ETA freilich kommt dies nicht gelegen. Laut baskischer Presse hat sie die Basis wissen lassen, es stehe ein langer, harter Kampf bevor und nichts spreche für erneute Verhandlungen oder die Niederlegung der Waffen in den kommenden Jahren.
Die Anschläge, mit denen Txerokis’ ETA versucht hat, Stärke zu demonstrieren, können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gruppe mit dem Rücken zur Wand steht. Noch nie saßen so viele Etarras in Haft wie heute. Die Verhaftungen erfolgen immer schneller, die Gruppenstruktur wird immer jünger und unerfahrener.
Erst im Juli wurde in Vizcaya, der Region rund um Bilbao, eines der zwei operativen Kommandos der Separatisten völlig zerschlagen. Und am 28. Oktober fiel das navarrische Kommando in die Hände der Polizei. Diese Verhaftungen brachten die Ermittler endgültig auf die Spur von Txeroki.
Das politische Umfeld der ETA gerät damit ebenfalls immer mehr unter Druck. Das französische Büro der in Spanien verbotenen Batasuna wurde Ende September durchsucht, 13 Führungsmitglieder festgenommen. Nur wenige Tage später erließ der Oberste Gerichtshof in Madrid ein Verbot der beiden Nachfolgeparteien von Batasuna in Spanien, ANV und EHAK.
ETA-nahe Gruppierungen laufen damit Gefahr, im kommenden Jahr nicht an den baskischen Autonomiewahlen teilnehmen zu können. Die Prophezeiung der beiden Gefangen Urrusolo und Guisasola könnte sich dann bewahrheiten. Falls die nationalistische Linke weiter auf Gewalt setze, „wird sie das Potenzial verlieren, das es ihr erlaubt, Motor für die Zukunft des Baskenlandes“ zu sein, heißt es in ihrem offenen Brief.
REINER WANDLER