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Archiv-Artikel

Die Reklamerezension. Heute: Es brennt an der Zeitungsfront

Während der Irakkrieg in die dritte Woche geht, wird an der Zeitungsfront schon viel, viel länger gekämpft. Mit allem Pipapo: mit shock & awe auslösenden Opferzahlen, versuchten und abgewehrten Allianzen und so allerhand Kollateralschäden. Damit die Kombattanten im Pulverdampf für den Konsumenten überhaupt noch erkennbar bleiben, haben sich einige von ihnen eine Art Erkennungsmarke zugelegt oder, wenn man so will, ein operatives Codewort.

Die B.Z. etwa (die sich selbst als „Berlins größte Zeitung“ rühmt, was Mumpitz ist, denn der ebenfalls in Berlin erscheinende Tagesspiegel ist aufgeklappt exakt doppelt so groß) wirbt an den Kiosken mit dem Slogan „Fühlen, was geschieht“. Der Tagesspiegel grenzt sich von solch einem geradezu unaufgeklärten Programm scharf ab und kontert altphilologisch mit einem piekfeinen „rerum cognoscere causas“. Was ungefähr heißt, man solle hinter den Erscheinungen dieser Welt deren Ursachen erkennen. Und die Financial Times Deutschland schließlich, jüngste Tägliche auf dem deutschen Zeitungsmarkt, eilt in ihrem jugendlichen Eifer den Tagesereignissen regelrecht voraus. Ihre Leser sollen nach der FTD-Lektüre „wissen, was wichtig wird“. Das richtige Programm von Spökenkiekern für Geldanleger.

Drei Zeitungen, drei Weltbezüge. Eigentlich erstaunlich, dass es überhaupt einen Zeitungskrieg gibt. Wer wildert da wo? Machen wir den Praxistest, nehmen wir uns die Titelseiten der vor taz.mag-Redaktionsschluss aktuellsten Ausgaben einmal zur Brust.

Der Tagesspiegel machte am Mittwoch mit den getöteten Frauen und Kindern am US-Kontrollpunkt im Irak auf: „Armee verteidigt Schüsse auf Bus“. A: Erkennen wir die Ursache? B: Fühlen wir, was geschieht? Oder C: Wissen wir nun, was wichtig wird? Antwort: Ganz viel A und ein bisschen B! Im so genannten Einser-Kommentar schreibt Christoph von Marschall: „Die Offensive verlangsamt sich, […] weil die Koalition auf Verstärkung wartet […]. Und weil es ihr oberstes Gebot ist, zivile Opfer zu vermeiden.“ Die toten sieben vom Checkpoint? Ein fantastischer Erfolg, direkt ein Beleg für militärische Dezenz! Wäre die „Koalition“ nicht so herzensgut langsam, würden wir über diese sieben gar nicht groß berichten, sondern über tausende! Uff, jetzt fühlen auch wir ganz B.Z.-like Erleichtung. Aber was soll werden?

Die FTD titelt am gleichen Tag: „Industrie-Konjunktur bricht weltweit ein. Wichtige Frühindikatoren fallen in USA und Europa“. Und darüber ein Hinweis auf die Seite 2: „Entscheidung in Bagdad. Es wird unmöglich sein, Zivilisten zu schonen“. Das selbst gesteckte Soll wird mustergültig erfüllt: Zeitungsfuturismus pur. Gründe und Ursachen, ja gewiss, die werden weiter hinten im Heft umrissen. Gefühle? Nachrangig. Keine Gefahr für die B.Z.!

Und die B.Z. selbst? Die entpuppt sich als wahrer Zeitungsmarktaggressor, indem sie nicht nur das eigne Ziel, sondern auch die Aufgabenstellung der Konkurrenz meistert! Auf dem B.Z.-Titel am Mittwoch: das brennende Jagdschloss Glienicke und die Schlagzeile „Flammenmeer, und keiner löschte“. Wir sehen die Flammen lebhaft vor uns, wir fühlen die Flammen und die Panik der alten Mauern, weil keiner löscht. Dazu die Unterzeile: „Jetzt brennt’s bei der Berliner Feuerwehr“. Unschlagbar. Ursache: Schlossbrand. Wirkung: Feuerwehrskandal. Oder auch umgekehrt. Was wichtig wird? Löschen, löschen, löschen!

REINHARD KRAUSE